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Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Titel: Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Tenner
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meiner Frau nach der Öffnung der Mauer eine offizielle Einladung. Es dauerte einige Wochen, bis ich die Visa erhalten und alle Formalitäten geklärt hatte.
    Es war die bis dahin weiteste Reise unseres Lebens und die aufregendste. Meine Frau hatte wieder einmal einen Koffer zu viel gepackt, aber wenigstens fehlte es auch nicht an den Dingen, die wir wirklich brauchten: Pullover und dicke Jacken. Die Temperaturen lagen am Tage zwar noch bei 10 Grad Celsius, sanken in den Nachtstunden aber unter null, drei Tage nach unserer Ankunft fiel der erste Schnee. Ahmed holte uns vom Flughafen ab. Vor dem Eingang stand ein alter weißer Lincoln, ein freundlicher alter Herr mit einem riesigen Schnauzbart begrüßte uns und nahm uns die Koffer ab, um sie im Kofferraum zu verstauen. „Das ist Khalif, unser Chauffeur.“
    „Du hast einen eigenen Chauffeur?“, fragte ich verwundert. „Genaugenommen ist er der Fahrer meines Schwiegervaters. Aber bei Bedarf nutzen die anderen Familienmitglieder seine Dienste auch.“ Wir setzen uns auf den großen und bequemen Lederrücksitz, der schon etwas vom Zahn der Zeit angenagt war, das Leder wies zahlreiche Risse auf und hatte seine ursprüngliche Farbe verloren. Ahmed nahm neben dem Fahrer platz. Es herrschte ein unglaublicher Lärm, ständiges Hupen, Schreien und Lärmen. Wir befanden uns rund 1700 Meter über dem Meeresspiegel, im Safid Kuh-Gebirge, direkt vor dem Hindukusch, ich konnte die hohen weißen Bergketten sehen. Gebirge, zum Teil 7500 Meter hoch, überzogen dreiviertel des gesamten Landes, es gab Tausende Höhlen, Schluchten, natürliche oder künstlich angelegte Stollen, eine unendliche, uneinnehmbare Festung für Leute, die sich auskannten und hier zu Hause waren: Guerillas, Opiumschmuggler, Warlords. Das größte steinerne Grab der Welt für Soldaten aller Herren Länder. Gebirge konnte man nicht wie den Dschungel mit Napalm abfackeln. Die Häuser, an denen wir vorbeifuhren, waren fast alles ebenerdige Gebäude oder einstöckige Lehmbauten mit flachen Dächern, bei den größeren Häusern handelte es sich zumeist um öffentliche Gebäude, wie Schulen, Krankenhäuser oder Verwaltungseinrichtungen. Ich sah viele Fahrradfahrer und zweirädrige Wagen von Eseln gezogen, zerbeulte und quietschende Taxis oder aus dem Auspuff qualmende und ständig hupende Busse, denen man ihr Alter ansah, umherstreifende wilde Hunde und Katzen. Vom Grau der Straßen hoben sich die bunten Auslagen der Geschäfte ab, das Treiben der laut schreienden und wild gestikulierenden Menschen auf den Basaren. Ich sah viele Teehäuser, sogar eine Art moderner Boutique, vor der Ständer mit Kleidern hingen. Die meisten Männer trugen Turbane und hatten Kaftane an, einige auch Bundfaltenhosen und weite bunte Hemden, aber ich sah kaum Frauen in Burkas gekleidet. Die Hauptstraßen waren in einem recht passablen Zustand, natürlich gab es auch Löcher, Risse und Verwerfungen, aber manche Berliner Straße befand sich in einem wesentlich schlechteren Zustand. Einige Jahre später sollte Kabul ein anderes Bild abgeben. Die verschiedenen Fraktionen der Mudschaheddin nahmen bei ihren Machtkämpfen keine Rücksicht auf die Menschen, die die Stadt bevölkerten und schon gar nicht auf Gebäude und Straßen. Abdul Rasul Sayyaf, Anführer der „Islamic Union for the Liberation of Afghanistan“ und großzügig von Saudi-Arabien unterstützt, forderte die völlige Zerstörung der Stadt, Kabul müsse dem Erdboden gleichgemacht werden. Nach der Entmachtung der Taliban und der Besetzung des Landes durch die Amerikaner und ihre Alliierten wurde er enger Vertrauter und Berater des Präsidenten Hamid Karzai und war dies auch noch zu dem Zeitpunkt, als ich unfreiwillig meine Zeitreise antrat. Ich wollte Ahmed sein gegenwärtiges Leben nicht mit meinen düsteren Prognosen verderben, zumal es offensichtlich ohnehin keine Möglichkeit gab, die Entwicklung aufzuhalten.
    Wir fuhren an einem internationalen Hotel vorbei und an einem modernen Gebäude mit einer asymmetrischen Struktur und einer Architektur, die dem Glas offensichtlich eine dominierende Rolle einräumte. Ahmed erklärte mir, dass es sich um das sowjetische Kulturzentrum handeln würde. Einige der großen Scheiben waren zersplittert und die Fassaden mit arabischen Schriftzeichen bemalt. Ich bat Ahmed um eine Übersetzung. „Es handelt sich um Beschimpfungen der Sowjetunion und um Glaubensbekenntnisse zu Allah.“ Er gab weiter keinen Kommentar ab. Ich sah zwei Kinos, vor

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