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Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Titel: Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Tenner
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denen sich lange Schlangen gebildet hatten. Ich konnte die Schrift auf den Werbeplakaten nicht lesen, aber das Konterfei von Robert Redford ließ keinen Zweifel am Herkunftsland des laufenden Films aufkommen. Ahmed erklärte uns, dass wir uns im Westen der Stadt befänden, im Stadtteil Deh-Mazang, wo sein Vater an der Kabuler Universität unterrichtete, seine Eltern und meisten Verwandten lebten, und er selbst zusammen mit seiner Familie im Haus seines Schwiegervaters wohnte. Er zeigte beim Vorbeifahren stolz auf einen modernen Flachbau. „Hier in diesem Gebäude befinden sich mehrere Anwaltskanzleien und“. Er lächelte stolz: „Zwei davon werden von Frauen geleitet“. Ich konnte mir gut vorstellen, dass dies einer Revolution gleichkommen musste, und konnte nachempfinden, warum er so stolz darauf war. Die Stadt wirkte, vielleicht lag es an der Jahreszeit, recht grau, es gab wenige Bäume oder Sträucher, an den Straßenrändern schwammen viel Kot und Schmutz in wässrig-öligen Rinnsalen. Ahmed sah meinen kritischen Blick. „Ja, wir brauchen unbedingt eine Kanalisation und vor allem eine funktionierende Müllabfuhr. Sonst bekommen wir noch New Yorker Zustände“, fügte er lächelnd hinzu. Bereits nach knapp einer halben Stunde erreichten wir das Ziel: ein großes, einstöckiges Haus, mit Kabuler Maßstäben gemessen, eine Villa, nur einen halben Kilometer vom Kabuler Zoo und dem Fluss Kabul entfernt. Neben dem Haus stand eine Garage für zwei Fahrzeuge. Das Haus selbst hatte acht oder neun Zimmer unterschiedlicher Größe. Durch das große, vordere Zimmer im Parterre gelangte man in einen geräumigen Innenhof, in dem sich eine offene Feuerstelle befand und zwei kleine Obstbäume standen, einige Gemüsebeete angelegt waren und Ahmed eine Schaukel und eine Holzrutsche zum Spielen für die sieben Kinder im Haus aufgestellt hatte. Das Anwesen gehörte Ahmeds Schwiegervater, einem General, der schon vor der Revolution 1978 seinen Posten besaß und aus einem angesehenen und reichen Paschtunenclan stammte. Ich habe ihn in diesen zwei Wochen nicht ein einziges Mal zu Gesicht bekommen, er soll sich im Kampfeinsatz mit seiner Truppe im Süden des Landes befunden haben. Seine Frau, Saba, die Hausherrin und dieser Name hat seine volle Berechtigung, führte eindeutig, aber mit fürsorglicher Absicht, das häusliche Regiment. Ihre beiden Töchter, Tschadari und Mariam, lebten mit ihren Familien mit im Haus. Die älteste Tochter hatte ihren Mann vor zwei Jahren durch einen Heckenschützen der Mudschaheddin verloren, sie hatte bis dahin in einer eigenen großen Wohnung mit ihm und den zwei Söhnen und zwei Töchtern in Kharabat, dem Künstlerviertel Kabuls gelebt, wo die Eltern ihres Mannes zuhause waren. Aber nach dem Abzug der Russen entschloss sie sich aus Sicherheitsgründen, das Angebot ihres Vaters anzunehmen und wieder ins elterliche Haus zu ziehen.
    Außer Ahmed und seiner Familie wohnten noch zwei Personen im Domizil und hatten jeweils ein eigenes Zimmer: Nabila, eine steinalt aussehende, aber angeblich erst fünfzig Lebensjahre zählende Köchin, Haushälterin und Kindererzieherin und Khalif, der Chauffeur und gleichzeitig Hausmeister. Sie arbeiteten schon seit Jahrzehnten für die Familie und wurden nicht wie Bedienstete, sondern wie Familienmitglieder behandelt. Wir wurden bei unserer Ankunft mit einer unglaublichen Herzlichkeit empfangen. Die Gastgeberin sprach fließend englisch und wie sich später herausstellte sogar etwas deutsch. „Unser Haus ist euer Haus. Mariam und Ahmed haben uns schon so viel über euch und eure Gastfreundschaft erzählt und die schönen Stunden, die sie mit euch verleben durften. Wir schätzen uns glücklich und es ist uns eine Ehre, euch endlich kennenlernen zu dürfen. Mein Mann ist dienstlich unterwegs, es herrschen leider Kriegszustände, er bedauert es sehr, euch nicht persönlich begrüßen zu können, aber ich soll euch ausrichten, alle eure Wünsche werden erfüllt werden, ihr sollt euren Aufenthalt nie vergessen.“ Wir bedankten uns für den Empfang und verteilten kleine Geschenke. Bei meinem zweiten Aufenthalt kannte ich natürlich den Geschmack und die Wünsche der Familienmitglieder bestens und konnte meine Einkäufe in Berlin darauf ausrichten. Für die Kinder hatte ich zentnerweise Kaugummi mitgebracht und Kunststofffiguren aus den Star-Wars-Filmen. Das fröhliche Geschrei beim Verteilen war sicher bis ins Nachbarviertel zu hören. Die Hausherrin bekam ein

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