Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)
Darulaman, den Regierungsbezirk, den König Amanullah nach der Unabhängigkeit 1919 von deutschen Architekten errichten ließ. Ich sah den schönen, Tradition und Moderne in sich vereinigenden Königspalast, der jetzt Ministerien beherbergte und in wenigen Jahren nur noch eine Ruine sein würde.
Ahmed führte uns durch die moderne Universität, stellte mich einem Philosophiedozenten vor, mit dem wir beim Tee eine anregende Unterhaltung führten. Er sprach perfekt deutsch, hatte drei Semester in München studiert und diese Zeit ausgiebig zur Verbesserung seiner Sprachkenntnisse genutzt. Er war begierig die neuesten Nachrichten aus Deutschland zu erfahren, die Bilder vom Mauerfall hatten selbst im fernen Kabul die Menschen berührt. Wir erfuhren von Ahmeds Bekannten, dass sich immer mehr weibliche Studenten an der Universität eintrugen und der Rektor, Assadullah Habib, dafür gesorgt hätte, dass auch Dozentenstellen mit Frauen besetzt worden waren. Am Sonntag Nachmittag waren Monique und ich bei Ahmeds Eltern eingeladen, sie begrüßten uns mit der gleichen Herzlichkeit wie Mariams Familie und wollten uns am liebsten in ihrem Domizil beherbergen. Ahmeds Vater war ein schlanker Mann um die Sechzig mit gedrehtem Schnauzbart, dichten grauen Haaren und gütigen Augen. Er strahlte eine kluge Heiterkeit aus, machte viele Scherze und erzählte uns einiges aus der Geschichte seines Familienclans. Ich lud ihn und seine Frau, die als Kinderkrankenschwester im Krankenhaus nahe der Universität arbeitete, nach Deutschland ein. Sie bedankten sich und versprachen uns bei erster Gelegenheit dieser Einladung zu folgen. Diese Gelegenheit sollte sich nicht mehr bieten, denn nur zwei Jahre später wurde das Wohnhaus in den Nachtstunden durch Raketen zerstört und alle Bewohner fanden in Rauch, Feuer und Trümmern den Tod. Die Raketen waren von den Truppen des tadschikischen Kommandeurs Ahmad Schah Massoud, dem sogenannten Löwen von Pandschir, abgefeuert worden, der dann einige Jahre Verteidigungsminister Afghanistans wurde, bevor ihn die Taliban vertrieben.
Seinen Plan Kabul zurückzuerobern, konnte er nicht mehr ausführen. Seine tapferen Truppen, die den Russen große Verluste zugefügt hatten, aber anderseits deren Rückzug aus Afghanistan sicherten und dafür jahrelang mit russischen Waffen versorgt wurden, verloren wenige Tage vor den Anschlägen vom 11. September ihren Führer. Er wurde Opfer von arabischen Selbstmordattentätern, die von der El Kaida geschickt wurden. So wurde zumindest behauptet. Andere Mudschaheddin Führer schienen aber auch ihre Finger in diesem Machtspiel zu haben. Ahmeds Eltern hatten sich zu diesem Zeitpunkt schon in Staub aufgelöst, sofern sie nicht schon durch den Raketensprengstoff pulverisiert worden waren. Wiederum belastete das Wissen um die tragische Zukunft dieser beiden so lieben Menschen, um ihr baldiges und schreckliches Ende, meinen zweiten Besuch und das beim ersten Mal noch so ungezwungen und heiter verlaufende Gespräch. Ich musste lernen, besser meine Gefühle zu verstecken und den anderen nicht ihre schönen Höhepunkte des Lebens zu verderben. Wir besuchten am nächsten Tag das historische Zentrum im nordöstlichen Stadtteil und das Ghazi Stadium, das einzige Sportstadion der Stadt, hier wurden jährlich im August die berühmten Reiterfestspiele durchgeführt. Ab 1996 fanden hier dann andere Festspiele statt, die des Todes. Meist vor vollen Rängen. Es gab alle paar Tage von den Taliban angeordnete und öffentlich durchgeführte, der Erziehung dienende und der Scharia genügetuende Hinrichtungen. Viele Frauen wurden hier per Kopfschuss gerichtet, weil sie geglaubt hatten, im 20. Jahrhundert und dann im 21. Jahrhundert zu leben. Ein tödlicher Irrtum. Drei Tage vor unserer Abreise machten wir einen ausgedehnten Spaziergang durch die Straßen in der Nähe des Wohnhauses Ahmeds. Wir kamen auch zum nahegelegenen Zoo. Ahmed lud uns ein, diesen zu besichtigen. Wahrscheinlich hätten wir eine Stunde dort warten müssen, um endlich ein Ticket erwerben zu können, viele Hunderte Menschen standen in langen Schlangen an den zwei geöffneten Kassen. Ahmed drängelte sich vor und zeigte seinen Ministeriumsausweis vor und deutete auf Monique und mich. Er erhielt sofort die gewünschten Eintrittskarten. Beim Gang durch das Eingangstor entschuldigte er sich: „Natürlich ist der Zoo nicht vergleichbar eurem Berliner Tierpark, aber wir sind froh, überhaupt den Menschen und vor allem den Kindern
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