Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)
gelassen. Dutzende Stände und Zelte, die als Vorratsräume oder Unterschlupf für die Verkäufer gedient hatten und auch einige Blech- und Holzschuppen waren buchstäblich in tausend Einzelteile zerlegt worden, über dem Platz stand eine Rauchwolke.
Ahmed, der schon etwas vorgelaufen war, kam angerannt, sprang über die Trümmer und Menschen und fiel mir in die Arme. „Kommt, kommt schnell, vielleicht gibt es noch weitere Explosionen“. Ich nickte gehorsam, lief zu Monique und drückte sie fest, sie kam zu Besinnung, ihre Augen waren völlig ausdruckslos, sie hatte noch nicht begriffen, was überhaupt passiert war, ihr linkes Trommelfell war eingerissen und Teile des Gehörganges in Mitleidenschaft gezogen worden. Es sollte einige Monate dauern, bis ein guter Chirurg im Krankenhaus Berlin Friedrichshain ihr in das verheilte Ohr ein Implantat einsetzte und sie zumindest achtzig Prozent ihrer alten Hörkraft zurückerhielt. Sie begann am gesamten Körper zu zittern und taumelte. Bevor sie das Bewusstsein verlor, fing ich sie auf und hob sie auf die Arme. Ahmed bahnte uns den Weg. Völlig entkräftet kam ich am Ende des Marktes an, inzwischen hörte man Sirenen heulen und Menschen, die die Explosion vernommen hatten, eilten aus den umliegenden Straßen zu Hilfe. Khalif hatte im Auto auf uns gewartet. Als er uns sah, rannte er auf uns zu, half mir beim Tragen von Monique, wir legten sie auf den Rücksitz, ich drängte mich mit hinein und legte ihre Füße auf meinen Schoß. „Fahr zum Hospital!“ forderte Ahmed Khalif auf. Dieser Aufforderung hätte es nicht bedurft. Er hatte den Motor schon angelassen und bahnte sich langsam einen Weg durch die Menschenmenge, die die Straße zu versperren begann. Nach fünfzehn Minuten hatten wir das hinter der Universität gelegene große Krankenhaus erreicht. Ahmeds Mutter war dort als Krankenschwester tätig, hatte aber gerade dienstfrei. Doch ein Cousin von Ahmed war als Arzt in der Unfallstation tätig und kümmerte sich sofort um uns. Monique war inzwischen wieder bei Bewusstsein und protestierte: „Mir geht es gut. Lasst die anderen Verletzten lieber behandeln, die brauchen die Hilfe nötiger.“ Ich schüttelte den Kopf: „Es sind noch gar keine Verletzten eingetroffen, die Krankenwagen sind erst vor wenigen Minuten zum Basar gefahren, lass dich bitte wenigstens kurz durchchecken.“ Bereits nach zehn Minuten kam Entwarnung, bis auf das verletzte Trommelfell konnte der Arzt äußerlich nichts feststellen und innere Verletzungen waren sehr unwahrscheinlich. Er bot uns an, Monique einen Tag zur Beobachtung im Krankenhaus zu behalten. Wir wehrten dankend ab, verwiesen auf unseren morgigen Abflug und vor allem auf die Tatsache, dass er in Kürze jedes Krankenhausbett dringend benötigen würde. Als wir vor dem Hauptportal standen, kamen die ersten Transporte mit Schwerverletzten auf den Hof gerast. Wir stiegen wieder in den Lincoln und fuhren zum Wohnhaus. Über den seelischen Zustand und die Stimmung am letzten Abend brauche ich keinen Bericht abzugeben, alles war noch schlimmer als nach dem Überfall im Bamiyan Tal. Ich konnte mir die Frage nach dem Schicksal der vier Soldaten ersparen, sie gehörten zu den sechsundzwanzig Menschen, die bei diesem heimtückischen Anschlag ihr Leben eingebüßt hatten. Ich fühlte mich irgendwie schuldig, weil ich nicht wie beim ersten Mal die Fahrt zu den Buddhastatuen unternommen hatte. Ich wollte vier Menschenleben retten und hatte nun zweiundzwanzig weitere auf dem Gewissen. Von den vielen Verletzten gar nicht zu sprechen. Nein. Ich durfte mir dies nicht einreden, auf dem Gewissen hatte sie Will Smith und seine Handlanger. Die Zeit des Chaos hatte begonnen. Das abendliche Essen verlief in gedrückter Stimmung.
Selbst die Kinder aßen lustlos, keines lachte oder stellte wie sonst eine neugierige Frage an uns. Nabila hatte gerötete Augen, eine alte Freundin von ihr war bei dem Anschlag schwer verletzt worden. Ahmed sprang alle fünf Minuten auf und telefonierte. Er wirkte um Jahre gealtert. Um die Stimmung noch mehr zu drücken, was eigentlich unmöglich schien, fiel an diesem Abend im gesamten Viertel der Strom aus, in anderen Bereichen der Stadt keine Seltenheit, aber hier erlebten wir dies in nach zwei Wochen das erste Mal. Das spärliche Licht der Kerzen und Öllampen ließ alles irgendwie gespenstisch und unwirklich erscheinen.
Als ich spät abends allein mit Ahmed im Raum war, kam ich auf Will Smith zu sprechen. „Du hast mir
Weitere Kostenlose Bücher