Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Titel: Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Tenner
Vom Netzwerk:
interessante Fahrt, aber, um ehrlich zu sein, mir geht es nicht so besonders. Mein Magen rumort und ich habe Durchfall, sieben oder acht Stunden Autofahrt an einem Tag traue ich mir einfach nicht zu.“ Ich sah es Ahmeds Gesicht an, dass er enttäuscht war, er hatte sich gefreut, mir die großartigen Denkmäler und das wunderschöne Tal zeigen zu können. Am liebsten hätte ich ihm gesagt, dass ich schon alles gesehen habe und es tatsächlich ein unvergleichliches Erlebnis war. Aber er hätte mir wohl nicht geglaubt. Wollen wir morgen überhaupt etwas unternehmen, oder willst du lieber hier im Haus bleiben?“
    „Ich würde gerne noch etwas von Kabul sehen, nur nicht so weit entfernt, ich möchte nicht solange im Auto unterwegs sein.“
    „Dann lass uns den großen Basar im historischen Viertel besuchen, dort gibt es unzählige Stände, viele Antiquitäten, die besten Teehändler, du wolltest doch einige Packungen kaufen und mit nach Deutschland nehmen?“
    Ich stimmte sofort zu. Mir war alles recht, solange ich wusste, dass Will Smith und die Taliban oder Mudschaheddin oder wer immer den Anschlag verübt hatte, umsonst im Bamiyan Tal auf uns warten würden. Als wir das Haus verließen, stand der Jeep mit den vier jungen Soldaten auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Mir wurde ganz übel, meine Ausrede mit dem Magen ging nun scheinbar in Erfüllung. Ahmed zeigte auf die vier jungen Männer, die offenbar nicht wussten, dass sie von einer Rakete zerfetzt worden waren, die Vergangenheit hatte für sie nicht stattgefunden. Für mich aber schon, deshalb wollte ich umkehren. Monique sah meinen Gesichtsausdruck. „Ist dir übel, sollen wir lieber hier bleiben?“ Ich wehrte ab: „Nein, nein. Es geht schon wieder besser. Mein Magen hat kurz rebelliert.“
    Ahmed zeigte noch einmal auf die Soldaten. „Mein Schwiegervater hat uns für unseren heutigen Ausflug einige Begleiter mitgegeben. Sie sollen eure Sicherheit garantieren. In den letzten Tagen hat es einige Überfälle auf Ausländer gegeben.“
    Das Fahrzeug fuhr diesmal nicht vor, sondern einige Meter hinter uns. Und auch als wir zu Fuß über den großen Basar schlenderten, hielten sich die Soldaten einige Meter hinter uns. Wir kauften diesmal viele kleine Andenken, die wir nach Deutschland als Präsente mitnehmen wollten. Der Basar war sehr voll, man musste ständig auf seine Taschen Acht geben, da an diesem Tage Taschendiebe Hochkonjunktur hatten. Monique entdeckte an einem kleinen Stand in der zweiten Reihe Hunderte von geschnitzten Elefanten, sie stürzte aufgeregt zu dem Tisch mit den ausgestellten Schnitzereien. Ich wollte ihr gerade folgen, als ich nur zwei Stände weiter einen Mann in grauen Leinenhosen, einer grauen Wattejacke und mit einem kleinen dunkelgrauen Turban auf dem Kopf stehen sah, der von hinten wie ein Einheimischer wirkte, den ich aber, als ich sein Profil und die schicke Brille sah, sofort als Will Smith erkannte. Ich war mir nicht sicher, ob er mich mit einem halben Auge wahrgenommen hatte, wenn ja, machte dies nichts, denn er hatte mich noch nie zuvor gesehen. Ich wollte unauffällig an ihm vorbeigehen und Interesse an den ausgelegten Lederwaren vortäuschen, aber dazu sollte ich nicht mehr kommen. Die Detonation schleuderte mich drei oder vier Meter nach vorne, ich hatte nicht einmal die Zeit mich abzufangen. Ich hörte kein Geschrei oder Heulen oder Kreischen, ich hörte einige Sekunden überhaupt nichts, nach gefühlter unendlich langer Zeit, vielleicht zehn Sekunden, kam ich langsam zur Besinnung. Das Erste, was ich bewusst wahrnahm und was zu einem nicht zu verdrängendem Bild vor dem Einschlafen werden würde, war ein abgerissenes Bein, aus dem zerfetzten und zerfransten Oberschenkel rann Blut, das Bein selbst steckte in einer Uniformhose und der Fuß in halbhohen, staubigen, schwarzen Stiefeln. Ich riss mich von diesem grässlichen Anblick los, sprang auf und schaute zu dem Stand, an dem Monique sich die Schnitzereien betrachtet hatte. Der Holztisch und die darüber gespannte Markise waren zusammengebrochen, Monique wirkte wie versteinert, drückte ihre Hände gegen ihre Ohren, und hatte die Augen geschlossen, sie stand offensichtlich unter Schock. Ich schaute in die Runde und langsam kehrte mein Gehör zurück. Es lagen Dutzende Menschen blutend und schreiend in den Gängen hinter mir, einigen fehlten Gliedmaßen, andere lagen mit den Gesichtern auf den Boden und hatten alles Elend und alle Gewalt dieses Landes hinter sich

Weitere Kostenlose Bücher