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Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Titel: Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Tenner
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unbeschreibliches Gefühl. Eine Art Déjà Vu, als ob ich hier in dieser Region, vielleicht in einem früheren Leben, wenn es so etwas geben sollte, schon einmal gewesen war, vielleicht sogar gelebt hatte. Ich fühlte mich sofort zu Hause, alles kam mir vertraut vor. In allen anderen Ländern und Städten, die wir im Laufe der Jahre noch kennenlernten, hatte ich zumeist Orientierungsprobleme, hier dagegen reichte ein Blick auf die Karte und ich fand sofort und ohne Irrungen ans Ziel. Die ersten Tage waren wundervoll, wir konnten aus unserem gemieteten Haus durch das riesige Wohnzimmerfenster auf die Wellen des Meeres sehen, wir tobten am Strand, sahen uns das Art Déco-Viertel von Miami Beach und die hübsche Einkaufsstraße von Fort Lauderdale, den Las Olas Boulevard, und andere Attraktionen entlang der Ostküste bis Boca Raton an. Mir war klar, dass ich meine Wahlheimat gefunden hatte, oder in die Heimat zurückgekehrt war. An diesem Gefühl änderte auch die Tatsache nichts, dass in der zweiten Woche ständige Meldungen im Fernsehen und Radio über den tropischen Wirbelsturm „Andrew“ ausgestrahlt wurden, der am 21. August über Puerto Rico und die Bahamas hinwegzog.
    Er hinterließ eine Schneise der Verwüstung. Am 22. August wurde er in die Kategorie 5, gleichbedeutend mit „verwüstend“ eingestuft und erreichte Spitzengeschwindigkeiten von 280 Kilometer pro Stunde. Erste Aufforderungen an die Einwohner der Küstenregion ergingen, das Gebiet in Richtung Zentralflorida zu verlassen. Zwangsevakuierungen gab es nicht, aber die Touristen wurden aus den Hotels mit Bussen entweder in Hotels und Unterkünfte in Orlando oder Kissimee gefahren oder in Schutzräume von Schulen in Gemeinden gebracht, die zehn bis zwanzig Kilometer von der Küste entfernt lagen. Das Haus, in dem wir wohnten, machte einen recht stabilen Eindruck, dennoch wollten wir kein Risiko eingehen. Das deutsche Ehepaar, dem das Haus gehörte, rief uns aus München an und bat uns, alles sturmfest zu machen und dann lieber einige Tage nach Zentralflorida zu fahren. Wir holten Stühle, Tische und Schirme von der Terrasse, schlossen alle Fensterläden, die ich außerdem mit Draht zusätzlich absicherte. Dann packten wir unsere Koffer, verstauten sie im Auto und brachen in den Abendstunden des 23. August auf. Es wehte schon ein starker Wind, man verstand kaum sein eigenes Wort, der Regen peitschte gegen die Scheiben und der Himmel war so düster-wolkenschwer, dass man das Gefühl hatte, das Ende der Welt wäre gekommen.
    Viele Einheimische hatten bis zum letzten Augenblick mit ihrem Aufbruch gewartet, jeder hoffte darauf, dass der Sturm doch noch abdrehen würde. Aber am 23. war nicht nur aufgrund der Warnungen des National Hurrican Centers in Miami klar, dass der Sturm die Küste bei Miami Beach treffen würde. Die offizielle Evakuierungsroute war kaum benutzbar, es hatte sich eine kilometerlange Blechlawine gebildet, die Polizei bemühte sich, Ordnung zu schaffen und Fahrzeuge über Nebenstraßen umzuleiten. Viele Bewohner versuchten, über die Alligator Alley an die Westküste zu gelangen. Die meisten entschieden sich für Zentralflorida und fuhren, sofern man dieses Wort noch gebrauchen konnte, die „95“ oder den Turnpike Richtung Orlando. Nach dem wir nach einer Stunde immer noch auf dem East Sunrise Boulevard standen und noch nicht einmal den West Sunrise Boulevard, Höhe „Swap Shop“, einen großen Flohmarkt mit Hallen und Zelten und nicht überdachten Verkaufsständen, erreicht hatten, entschloss ich mich, auf kleine Wohngebietsstraßen auszuweichen und erst kurz vor Erreichen der „95“ wieder auf die Hauptstraße zu fahren. Daniela fing an zu weinen, sie hatte Angst. Der Wind nahm von Minute zu Minute an Stärke zu, der Regen wurde zum Wolkenbruch und die Dunkelheit war fast undurchdringlich, ich konnte keine zehn Meter weit mehr sehen. Die Scheinwerfer und die Scheibenwischer waren überfordert. Die Gegend, die wir durchfuhren, war vor allem von Farbigen bewohnt, bei den Häusern handelte sich zumeist um Leichtbauten, schnell aus Holz oder dünnen Platten errichtet. Diese Notbehausungen hatten keine Chance, dem Sturm zu trotzen, allein in diesem Bezirk wurden Tausende Häuser dem Erdboden gleichgemacht. Ich ärgerte mich, dass wir uns nicht schon früher zur Flucht entschlossen hatten. Ich konnte die Straßenschilder nicht mehr erkennen, war aber ziemlich sicher, zumindest, wenngleich im Schritttempo, in die richtige Richtung zu

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