Die Geier
da«, meckerte Mescard
und schaute auf seine Uhr. »Du schreibst mir dann, so-
bald es dir gelungen ist, die Tür zu öffnen.«
»Machen Sie sich nicht lustig über mich, Kommissar,
man kann nicht in allem perfekt sein«, entgegnete Gege
und drehte erneut an seinem Dietrich.
»Ich bin nicht Kommissar«, knurrte Mescard. »Du
übertreibst, Gege. Ein kurzer Aufenthalt in den Ateliers
von Clairvaux bringt dich vielleicht wieder auf die rich-
tige Spur. Ich weiß, daß es mit dir bergab geht, aber die
Lagerhallen von Kocilor, das warst du doch, oder?«
Die Schweißtropfen flossen an Geges Schläfe herun-
ter.
»Kocilor?« brummte er und bog an seinem Dietrich
herum. »Das müßte erst einmal bewiesen werden!«
Plötzlich öffnete sich die Tür mit einem leisen metalli-
schen Klicken. Gege erhob sich.
»Sie müssen sie nur hinter sich schließen«, meinte er
und ließ das Werkzeug in seinen Jackentaschen ver-
schwinden. »Der Alarm schaltet sich automatisch wie-
der ein. Sieht tückisch aus, ist aber alles nur Schein!«
Mescard nickte unmerklich mit dem Kopf.
»Du kannst gehen. Aber versuch in Zukunft, dich
nicht mehr mit Anfängern einzulassen. Das wird dir
eine Menge Probleme ersparen.«
Gege zog seine fast weißen Augenbrauen hoch.
»Wollen Sie mit mir über Kocilor plaudern?«
Mescard zuckte mit den Schultern.
»Ich kann dich nicht immer nur in Schutz nehmen,
Gege ...«
Gege lachte kurz auf und deutete auf die offenste-
hende Tür.
»Mit Ihren Methoden steuern Sie geradewegs auf
eine vorzeitige Pensionierung zu«, scherzte er. »Heut-
zutage arbeiten die Verurteilten hauptsächlich an Com-
putern. Im Grunde sind Sie genau wie ich: Wir liegen
beide völlig daneben ...«
Erschöpft nahm der alte Gege den Aufzug. Der In-
spektor sah, wie die Tür sich hinter ihm schloß, und be-
trat das Appartement des Sammlers David Toland.
Nach und nach verlor Dr. Loic Gaborit alle Illusionen.
Die Anschrift auf dem Krankenzettel von Giova Llorens
stimmte nicht mehr. Das Gebäude war abgerissen wor-
den, um einem neuen Stück Autobahn Platz zu ma-
chen. Ein ganzes Wohnviertel hatte einem weitläufigen
Verkehrskreuz weichen müssen. Logischerweise hatte
Gaborit auf das elektronische Telefonbuch zurückge-
griffen, aber auch hier eine Niederlage einstecken müs-
sen. Dabei mußte er sie finden, bevor die Geier der
Z.S.A. ...
Je weiter seine Nachforschungen voranschritten, de-
sto mehr Erinnerungen an die Jugendliche kamen ihm
in den Sinn. Giovas Studien entsprachen kaum ihrer In-
telligenz. Sie war um etwa ein, zwei Jahre in Rückstand
geraten, vermutlich hatten die zahlreichen Umzüge ih-
rer Mutter sie verwirrt.
Nach kurzer Überlegung beschloß Gaborit, sich an die
verschiedenen Universitäten zu wenden. Dort erfuhr er,
daß Giova in Dauphine eingeschrieben war, auf einer
Fakultät, die auf ausgezeichnete Schulnoten schließen
ließ, wo sie aber offensichtlich keinen einzigen Kurs be-
sucht hatte. Die Adresse von Fräulein Llorens war die-
selbe, die er schon einmal aufgesucht hatte. Sie war dort
nicht bekannt. Gaborit mußte wieder von vorn begin-
nen. Doch es gelang ihm wenigstens, die Schulakte von
Giova zu erhalten, der zu entnehmen war, daß sie ihre
Abschußklasse im Lycee Chaptal, einem alten verwin-
kelten Gebäude zwischen der Rue de Rome und dem
Boulevard des Batignolles, beendet hatte. Er begab sich
dorthin, und nach einem knappen und mühsamen Ge-
spräch mit dem jähzornigen Direktor lernte er einen
Philosophieprofessor kennen, der sich sehr gut an das
junge Mädchen erinnern konnte.
»Giova war nicht grundsätzlich intelligenter als ihre
Kommilitonen«, erklärte der Professor. »Aber sie war
anders, reifer, doch manchmal verhielt sie sich seltsam
kindisch. Ihre schulischen Leistungen waren unge-
wöhnlich gut, aber leider war sie sehr oft abwesend.
Ihre Mutter behauptete, sie hätte gesundheitliche Pro-
bleme.«
Einige Sekunden lang schwieg der Professor und
schien nachzudenken, bevor er schließlich hinzufügte:
»Ich weiß nicht viel über Giova Llorens, aber eins
steht fest: Sie war das hübscheste Mädchen, das je in ei-
ner meiner Klassen saß.«
Ratlos nickte Gaborit mit dem Kopf. Er war kaum
weitergekommen und wußte nicht, an wen er sich noch
wenden sollte.
»Sie ... Sie wissen nicht zufällig, wo sie damals
wohnte?« fragte er ohne große Überzeugung.
»Nein, aber ich kenne jemanden, der Ihnen Genaue-
res sagen kann
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