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Die Geier

Die Geier

Titel: Die Geier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joel Houssin
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Ihnen bestimmt doch am ehesten.
    Los, nicht aufgeben, bald haben wir's geschafft!«
    Schließlich erreichten Sie die sechste Etage und stan-
    den vor einer Tür, von der die Farbe abblätterte, die sich schälte wie verbrannte Haut. Einen Moment lang lehnte
    die Krankenschwester sich dagegen, da sie außer Atem
    war. Der starke Geruch von geröstetem Knoblauch lag
    im Treppenhaus. Als der Chirurg ungeduldig wurde,
    nickte die Rothaarige mit dem Kopf, trat vor und klopfte
    an die Tür.
    Gaborit war sichtlich erstaunt, als ein Mann die Tür
    öffnete und auf die Schwelle trat. Der Kerl war nicht
    wirklich fett, aber sein unförmiger Magen beulte sein
    ekelhaft schmutziges Unterhemd aus. Seine wenigen
    glänzenden Haare hatte er nach hinten gekämmt, und
    ohne den Hühnerschenkel aus dem Mund zu nehmen,
    an dem er nagte, schaute er abwechselnd die Kranken-
    Schwester und den Doktor an. Die fettigen Hände
    wischte er sich an der Hose ab.
    »Worum geht's?« fragte er schließlich wenig freund-
    lich.
    »Wir würden gerne mit Madame Llorens sprechen«,
    erklärte die Krankenschwester.
    Mit dem langen dreckigen Nagel seines kleinen Fin-
    gers stocherte sich der Mann in den Zähnen herum.
    Dann fuhr er sich mit der Zunge durch die hohlen Bak-
    kenzähne, was ein seltsames Schnalzen bewirkte.
    Er zog die Nase hoch, betrachtete erneut die Kran-
    kenschwester, wandte sich nach hinten und schrie:
    »Besuch für dich, Schlampe!«
    »Verpiß dich!« antwortete eine Stimme aus der Woh-
    nung.
    Verdutzt sah Gaborit die Krankenschwester an, die
    daraufhin mit den Schultern zuckte.
    »Das Luder liegt den ganzen Tag im Bett«, sagte der
    Mann. »Hat anscheinend kranke Beine . . . «
    Er trat zur Seite und bat die beiden in die Wohnung.
    »Ich will mit niemandem sprechen!« schrie die
    Stimme mit ausgeprägtem italienischen Akzent.
    Die Einzimmerwohnung glich eher einer Abfallkam-
    mer als einem Appartement. Verdreckte Klamotten la-
    gen auf dem abgewetzten Teppich herum, auf dem Re-
    sopaltisch standen Dutzende leerer Weinflaschen, aus
    den Wänden sickerte die Feuchtigkeit, in der verkom-
    menen Kochnische stapelten sich die Abfalltüten, der
    Geruch von verfaulten Lebensmitteln, abgestandenem
    Rauch und Urin erfüllte das Zimmer. Hinten in der
    Ecke, in einer Nische, stand das Bett, auf dem eine Frau
    lag, deren Glieder von einer schweren Polyarthritis ver-
    formt waren und deren Gesicht von Cortison aufge-
    schwemmt war. Es gelang ihr kaum, die Augen zu öff-
    nen, und sie schien die Krankenschwester nicht wieder-
    zuerkennen. Gaborit war von diesem Anblick wie vor
    den Kopf gestoßen. Er erinnerte sich an das zarte Ge-
    sicht der kleinen Giova. Hier konnte sie doch unmög-
    lich leben. Sie doch nicht ...
    »Ich bin die Krankenschwester aus dem Chaptal-Ly-
    zeum«, erklärte die Rothaarige. »Wir hätten gern mit
    Giova gesprochen ...«
    Die Frau fluchte auf italienisch.
    »Diese kleine Hure ist schuld, daß ich hier liege!«
    kreischte sie. »Sie ist abgehauen, ohne es mir zu sagen,
    ohne mir Geld dazulassen, nichts! Nach allem, was ich
    für sie getan habe!«
    Der Mann im Hintergrund kicherte. Gaborit hingegen
    sah seine Hoffnungen schwinden, obwohl er gleichzei-
    tig irgendwie auch erleichtert war, daß das kleine Mäd-
    chen mit den Puppen diese abscheuliche Behausung
    verlassen hatte.
    »Warum suchen Sie sie überhaupt?« fragte Giovas
    Mutter.
    Der Chirurg wollte gerade von dem an Leukämie lei-
    denden Kind und dessen genetischer Verbindung zu
    Giova zu erzählen beginnen, als die Krankenschwester
    ihn anschaute und ihn mit einem Hüsteln daran erin-
    nerte, daß an einem Ort wie diesem Erklärungen ohne
    finanziellen Nachdruck sinnlos waren. Gaborit zog
    seine Brieftasche hervor und legte einen Hunderter auf
    den Bettrand. Zweifellos war die Frau durch ihr Rheu-
    ma sehr behindert, doch der Geldschein verschwand
    schneller, als Gaborit schauen konnte.
    »Wir haben ein neues Medikament entwickelt und
    glauben, daß wir Giova damit definitiv von ihren Aller-
    gien heilen können«, begann der Mediziner und ver-
    zichtete mit einemmal darauf, den humanitären Aspekt
    der ganzen Angelegenheit weiterhin zu bemühen.
    »Soll sie doch verrecken!« krächzte die Mutter, indem
    sie auf die Brieftasche schielte, die der Doktor nach wie
    vor in der Hand hielt.
    Plötzlich kam Wut in Gaborit auf, und er empfand
    große Lust, auf das Bett zu springen und dieses ab-
    scheuliche Weib zu erwürgen, diese Mutter, die die
    Schönheit und

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