Die Geier
beugte sich
nach vorn und sah die behandschuhten Hände, die über
das Geländer glitten.
Der Mann ging den Flur entlang und pochte heftig
gegen eine Tür. Nur ein Skandal könnte ihn jetzt noch
retten. Mit aller Kraft klopfte er an eine zweite Tür, an
eine dritte Tür. Niemand öffnete ihm. Trotz des Angst-
kloßes im Hals wollte er einfach nicht schreien. Hör-
ten die Leute Schreie, würden sie erst recht nicht öff-
nen.
Der Mann stürzte zur Treppe und stieg ins dritte
Stockwerk hinauf. Das Licht ging aus. Der Flur lag im
Dunkeln. Der Mann schaute sich nach dem orangefar-
benen Schalter des Minutenlichts um. Dann entdeckte
er den Lichtstrahl unter einer mit einem grellen Poster
geschmückten Tür.
Der Mann näherte sich der Tür. Der lähmende
Schmerz erfaßte den ganzen Körper. Statt dessen über-
legte er nun mit unglaublicher Schnelligkeit und kon-
zentrierte sich nur mehr auf den Film in seiner Faust.
Die Fotos retten ...
Außer Atem und mit halbgeschlossenen Augen
lehnte er sich gegen die Tür. Mit der Hand suchte er
nach der Klingel. In der Wohnung war ein merkwürdi-
ges Läuten zu hören. Schnell. Schnell ... Der Mann be-
tete. Aus den unteren Stockwerken war ein Rascheln
und Gleiten zu hören. Die Geier kamen näher.
Plötzlich wurde die Tür geöffnet, und beinahe wäre
der Journalist einer jungen Frau in einem indischen
Kleid und mit geflochtenem Haar in die Arme gefallen.
Sie schien noch sehr jung zu sein, ihre ungewöhnlich
hellen Augen sahen den Mann erstaunt an.
Der Mann drückte dem Mädchen den Film in die
Hand. Ihre zarten Finger schlossen sich um die Kunst-
stoffhülle.
»Nehmen Sie das an sich. Und öffnen Sie nieman-
dem ... Bitte ...«
Er stieß sie ins Innere der Wohnung zurück und
schloß eigenhändig die Tür. Wahrscheinlich hatte die
junge Frau absolut nichts von diesem merkwürdigen
Auftritt verstanden. Der Mann betete darum, daß sie
trotzdem niemandem öffnen möge. Erneut stürzte er
zur Treppe und begann seinen letzten Aufstieg.
Sein Herz raste. Mit der flachen Hand schlug er auf
den Knopf des Minutenlichts.
Neuntes Kapitel
Pamela Sirchos ging es gut. Sie war problemlos aus der
Narkose aufgewacht, hatte sogleich wieder ihre sagen-
hafte Liebenswürdigkeit an den Tag gelegt und Zorski
beteuert, daß sie sich noch nie so wohl gefühlt hätte wie
jetzt.
»Ich hätte große Lust, stundenlang zu schwimmen
und eine riesige Portion Sektsauerkraut zu verschlin-
gen«, sagte sie fröhlich, als der Chirurg einige Tests
durchführte.
»Mögen Sie die europäische Küche?«
»Ich liebe Europa«, antwortete Pamela.
Aufmerksam betrachtete Zorski den Druckstreifen
des Elektrokardiogramms. Das Herz schlug etwas zu
schnell. Der Chirurg flüsterte Russel etwas zu.
»Ist etwas nicht in Ordnung?« fragte Pamela besorgt.
Zorski lächelte.
»Man könnte meinen, Ihr Herz möchte die verlorene
Zeit wieder wettmachen«, erklärte er. »Es ist ganz wie
Sie: lebenshungrig. Doktor Russel wird Ihnen eine
Spritze geben, damit es sich wieder beruhigt.«
Zorski hatte große Mühe, dem ausdrucksvollen Blick
seiner Patientin standzuhalten. Nie zuvor hatte er der-
art dunkelblaue Augen mit solch dichten, unheimlich
sinnlichen Brauen und solch langen braunen Wimpern
gesehen. Der Chirurg war verwirrt und schließlich froh,
das Miami Hospital wieder verlassen zu dürfen. Russel
fuhr ihn zum Flughafen.
»Jahrelang habe ich für diesen Beruf hart arbeiten
müssen«, erklärte Russel. »Tag und Nacht habe ich
darum gekämpft, ein guter Chirurg zu werden. Ich
glaube, ich habe eine gute Technik entwickelt und bin
geschickt genug, um sie richtig anwenden zu können.
Doch wozu das alles? Um nun Krankenpfleger zu spie-
len. Das ist es doch, was ich geworden bin.«
Zorski schaute seinen Kollegen an. Die Operation
und die darauffolgende Nacht hatten ihn arg mitge-
nommen. Offensichtlich war er einer Depression nahe.
Zorski machte sich Vorwürfe, daß er diesen Zustand
nicht schon früher bemerkt hatte.
»Sirchos glaubt, ich hätte bei den beiden vorangegan-
genen Eingriffen versagt«, fuhr der Arzt fort. »Er hat
mir deswegen zwar nie den geringsten Vorwurf ge-
macht, und ich war auch sogleich damit einverstanden,
daß er sich an Sie gewandt hat, als die Herzklappe er-
neut kaputtging. Aber ich bin fest davon überzeugt, daß
er mich für die beiden Mißerfolge verantwortlich macht.
Glauben auch Sie, daß diese Operationen mir
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