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Die Geier

Die Geier

Titel: Die Geier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joel Houssin
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küm-
    mern ...«
    Sirchos rieb sich die Nasenwurzel und schnitt eine
    Grimasse, als litte er an einer Stirnhöhlenvereiterung.
    »Ich habe ihn herbestellt, damit Sie ihm Ihre Anwei-
    sungen geben können«, fuhr er fort. »Ich habe vollstes
    Vertrauen in Sie, Doktor Zorski. Von nun an ist Ihr Le-
    ben eng mit dem von Pamela verbunden.«
    Zorski ärgerte sich über sich selbst, da er nicht sofort
    begriffen hatte, daß dieses Angebot, dieser vielverspre-
    chende Vorschlag, in Wirklichkeit eine schreckliche Be-
    drohung war. Er war ganz einfach einen schlechten
    Handel eingegangen, der sich mit einem einzigen Satz
    zusammenfassen ließ: Wenn Pamela sterben würde,
    würde ihr Mann auch Zorski zerstören.
    Der Chirurg stellte sein leeres Glas wieder hin. Noch
    hatte er nicht genug getrunken, um Sirchos die Stirn
    bieten zu können. Dennoch wagte er sein Glück:
    »Auch mit allem Geld dieser Welt können Sie sich
    kein Leben erkaufen, Mister Sirchos. Wenn Gott ent-
    schieden hat ...«
    »Lassen Sie Gott aus dem Spiel!« brüllte Sirchos.
    Er machte eine Handbewegung, als wollte er unsicht-
    bare Insekten verscheuchen.
    »Gott ist nur die Fessel der Unterwerfung«, dröhnte
    der Milliardär. »Ein Ersatz für die geheimen Mühen der
    Arbeiterklasse!«
    Er beugte sich nach vorn. Sein Gesicht hatte einen
    grauenvollen, alptraumhaften Ausdruck angenommen.
    »Wir haben Gott erfunden! Verstehen Sie, was ich
    meine, Doktor Zorski?«
    Das Wort >Doktor< hatte er ganz deutlich mit einer
    gewissen Verachtung ausgesprochen. Wenn Zorski sich
    wirklich hundeelend fühlte, wenn ihm nach Kotzen
    zumute war, dann pflegte er sich an jenen Tag im Mai
    1980 zu erinnern, als er eine kleine achtjährige Kambo-
    dschanerin in seinen Armen sterben sah. Während einer
    ganz gewöhnlichen Operation, wie er sie bereits mehr
    als tausendmal erfolgreich durchgeführt hatte. Zehn
    Tage zuvor hatten die Eltern des Mädchens ihm ein Te-
    legramm geschickt, einige verzweifelte Zeilen, auf die
    er mit einigen wenigen Worten geantwortet hatte:
    >Kommen Sie nach Philadelphia, ich werde Ihr Kind ko-
    stenlos operieren!< Seinem Antwortschreiben hatte er
    einen internationalen Scheck beigelegt, der dem Preis
    der Flugreise entsprach. Acht Tage später wurde das
    kleine Mädchen ins Hospital in Philadelphia eingelie-
    fert, wo es kurze Zeit später auf dem Operationstisch
    sterben sollte, ohne daß der berühmte Doktor Zorski ir-
    gend etwas tun konnte, um es zu retten. Es war ein
    ganz gewöhnlicher Eingriff gewesen, eine banale Ope-
    ration. Zorski hatte alles versucht, alles unternommen,
    um das Kind zu retten. Ohne Erfolg. Massagen, Adre-
    nalin- und Digitoxinspritzen, künstliche Beatmung - al-
    les vergeblich. Das Herz des kleinen Mädchens weigerte
    sich, wieder mit dem Schlagen zu beginnen.
    Das an jenem Tag anwesende Chirurgenteam glaub-
    te, Zorski würde verrückt werden. Unaufhörlich ging er
    im Operationssaal auf und ab, gab seltsame Jammertöne
    von sich und fuchtelte mit den Armen um sich. Plötzlich
    verließ er das Krankenhaus, stürzte in den Park, um-
    klammerte einen Baumstamm, kniete am Boden nieder
    und schrie beinahe fünf Minuten lang. Anschließend
    kehrte er ins Krankenhaus zurück, benachrichtigte die
    Eltern über den Tod ihrer Tochter und zog sich in einen
    anderen Operationssaal zurück, um dort eine weitere
    Herzoperation vorzunehmen.
    In den darauffolgenden Wochen arbeitete Zorski wie
    ein Wahnsinniger. Er operierte täglich beinahe fünfzehn
    Stunden lang, eilte von einem Operationssaal in den
    anderen, von einem Patienten zum anderen, ohne auch
    nur ein einziges Wort mit jemandem zu sprechen. Bei
    seinen Schülern machte er sich verhaßt, seine Assisten-
    ten fühlten sich ungerecht behandelt. Er durchlebte die
    schrecklichsten drei Monate seines Lebens; nachts hatte
    er Angst einzuschlafen, um nicht von Alpträumen ge-
    quält zu werden. Eine Krankenschwester schwor, ihn in
    seinem Büro, in dem er sich zwischen zwei Operationen
    einzuschließen pflegte, mehrmals weinen gesehen zu
    haben.
    Trotz seines Ehrgeizes und seines außerordentlichen
    Engagements begriff Zorski, was Demut heißt. Damals
    wurde er sich bewußt, daß weder Talent noch Geld ein
    Leben retten kann, das dem Tod geweiht ist. Gewisse
    Grenzen sind bekannt, andere bleiben im geheimen,
    doch niemand darf sich rühmen, mit gleichen Waffen
    gegen den Tod anzukämpfen. Und daran würde auch
    Sirchos nichts ändern.
    Die Sprechanlage rauschte und kündigte

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