Die Geier
Computer, Scan-
ner und Dispatcher, waren verschwunden. Auch die
bereits bezahlte medizinische Ausrüstung, die Konser-
vierungsbehälter, die Klammern und Skalpelle und ver-
schiedene andere Werkzeuge, die Minigefriertruhe wa-
ren nicht verschont geblieben.
Eine ganze Minute lang stand David Toland reglos
da. Sein asketisches Gesicht verriet keinerlei Gefühl,
nicht die leiseste Spur von Zorn oder Verzweiflung.
Er ging zum Bett, ließ sich, schwer wie ein Stein,
rückwärts darauf fallen. Er verschränkte die Hände hin-
ter dem Kopf und starrte die Decke an. Beim Inventar
der Ruinen, die man ihm bereitwillig überlassen hatte,
hatte er das Telefon vergessen. Er ließ es gut zehnmal
klingeln, ohne mit der Wimper zu zucken, ohne auch
nur die leiseste Andeutung von Verwirrung zu zeigen.
Wie tot lag er da. Erneut trat Stille ein, nur noch das
Surren der Klimaanlage war zu hören.
Langsam stand David auf, jede seiner Bewegungen
vollzog sich wie in verzweifelter Zeitlupe. Er ging zu
dem in die Wand eingefaßten Plattenspieler, eine tech-
nische Spielerei, mit der die Architekten neuerdings
sämtliche Wohnungen ausstatteten.
Prayer Meeting und Charlie Mingus füllten das Wohnzimmer und trugen den Sammler zehn Kilometer weit
über die Stadt hinaus, weit weg, sehr weit weg, dorthin,
wo der Geruch der Fäulnis ihn nicht mehr erreichte ...
Die Kerle öffneten nichts, sondern schlugen einfach al-
les ein. Türen, Schränke, Abstellkammern, alles flog in
Stücke, wie bei einer gewaltigen Explosion. Sie trugen
blaue Uniformen und Gasmasken mit breiten Augenlö-
chern, die sie wie Insekten aussehen ließen. Einige tru-
gen orangefarbene Behälter auf dem Rücken und hiel-
ten ein langes Rohr in der Hand. In wenigen Sekunden
waren sämtliche Zimmer des unteren Stockwerks mit
gelbem Rauch gefüllt, durch den sich die Eindringlinge
wie Gespenster, wie seltsame, auf systematische Zerstö-
rung programmierte Roboter bewegten. Die beiden un-
zertrennlichen Kanarienvögel in ihrem stilisierten, an
der Wohnzimmerdecke befestigten Käfig waren die er-
sten, die sterben mußten. Mit einem unheimlichen Zi-
schen strömte das tödliche Gas aus den Rohren.
Im ersten Stockwerk stieß Simba einen entsetzlichen
Schrei aus. Er packte Junior, zog ihn auf den Flur hinaus
und schrie mit aller Kraft nach seiner Frau. Die Männer
standen bereits auf der Treppe, setzten ihre mörde-
rische Arbeit unerbittlich fort. In Kommandoformation
rückten sie vor, ohne sich um Juniors Schreien zu
kümmern.
Simba roch den süßlichen Duft des Gases. Er kannte
dessen Eigenschaften und wußte, daß bereits beim Ein-
atmen seines charakteristischen Geruchs die ersten zer-
störerischen Effekte auf seinen Organismus einwirkten.
Kürzlich war ein halbes Dutzend Soldaten einer winzi-
gen Dosis dieses Gases zum Opfer gefallen und unver-
züglich, wenn auch nur inoffiziell, ins Central Hospital
nach Philadelphia, auf Zorskis Station, eingeliefert wor-
den. Als Gegenleistung für gute und treue Dienste.
Zorski wußte nichts über dieses Gas und erkundigte
sich im Pentagon über dessen Zusammensetzung, doch
man verweigerte jede Auskunft. Keiner dieser unglück-
lichen Soldaten überlebte länger als fünfzehn Stunden.
Der Widerstandskräftigste starb auf der besten Intensiv-
station weit und breit, in einem Bett, in dem sogar eine
Leiche innerhalb weniger Minuten wieder zum Leben
erweckt worden wäre. Dieses Gas war die abscheulich-
ste Waffe, die der Armee je in die Hände geraten war.
Sozusagen gleichzeitig bewirkte es eine totale Lähmung
der Atemwege, einen Muskelkrampf, der den letzten
Stadien einer Tetanusvergiftung entsprach, und schwere
Gehirnschäden, wie man sie bislang nur bei tatsäch-
lichen Schädelexplosionen hatte feststellen können.
Es gab nichts Schrecklicheres, und Simba war felsen-
fest davon überzeugt, daß diese entsetzliche Waffe nur
in beschränkter Quantität an Armeen im Mittleren
Orient verkauft worden war und vermutlich ausschließ-
lich zu Experimenten dienen sollte. Der schwarze Riese
taumelte. Die Beine trugen ihn nicht mehr und brachen
unter seinem Gewicht zusammen. Ein brennender
Schmerz explodierte in seiner Brust. Er drückte Junior
fest an sich und versuchte, ihn am Atmen zu hindern,
indem er ihm die Hand auf das Gesicht preßte. Der
Junge wehrte sich mit unglaublicher Kraft, denn er wies
bereits erste Anzeichen einer erhöhten Muskelspan-
nung auf.
Drei
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