Die Geier
sich schon noch
schnappen. Moussi war ein Nichts, nur ein Haufen
Dreck, Scheiße.
Milan erhob sich und streckte sich. Es hatte keinen
Sinn, noch länger in dieser Wohnung zu bleiben.
Rasch warf der Sammler einen letzten Blick in die
Zimmer und verließ die Wohnung. Er beschloß, sich ei-
nige Stunden schlafen zu legen und seinen Bericht für
Steve Odds auf später zu verschieben.
Achtzehntes Kapitel
Stefan hockte auf der Motorhaube eines reifenlosen
Chevrolet Caprice und war in einen seiner Träume ver-
sunken, die niemand je begreifen konnte. Geistesabwe-
send, ohne wirklich zu wissen, was er tat, schlug er mit
einem schweren Hammer gegen den Kühlergrill des
amerikanischen Wagens.
Milan stellte den Studebaker am Eingang des
Schrottplatzes ab, genau dort, wo Ma es wünschte. Er
sprang aus dem Wagen, genau neben eine Schlammla-
che, und beobachtete einen Moment lang seinen Bru-
der. Oft stellte er sich vor, Stefan lebe in einer anderen Welt, in seiner eigenen Welt, in einer Welt, in der er der Beste und Stärkste war, wo sein Aussehen weder Neugier noch Spott hervorrief, in einer Welt, wo er wirklich
glücklich wäre von dem Tag an, da er für immer dort
bleiben könnte. Milan schauderte. Wenn Ma irgend-
wann nicht mehr da wäre, würde Stefan seinen Ham-
mer ergreifen und allen die Köpfe einschlagen, alle
Köpfe dieser Welt, ohne daß jemand ihn daran hindern
könnte.
Starker Kaffeegeruch kam von den Baracken her.
Milan ging los, und das Monsterkind hob den Kopf. Ein
freudestrahlendes Lächeln trat auf das mongoloide Ge-
sicht. Er ließ seinen Hammer zu Boden fallen und
sprang mit einem überaus kräftigen Satz vom Chevro-
let.
»Mirko!« gurgelte Stefan strahlend. »Ma wird froh
sein, daß du kommst. Sie macht gerade Kaffee. Guten
Kaffee.«
Milan deutete auf den Chevrolet.
»Was hat dieser arme Wagen dir getan, daß du so auf
ihn eindrischst?«
Verärgert runzelte Stefan die Stirn. Er drehte sich zu
dem Autowrack um, dessen Kühler er völlig demoliert
hatte. Eine Speichelblase schwoll in seinem Mundwin-
kel an. Milan ging auf ihn zu und packte ihn an den
Schultern.
»Macht doch nichts, Kleiner!« murmelte er. »Gar
nichts. Es war doch nur ein alter, blöder, unbrauchbarer
Karren.«
Er nahm seinen Bruder mit zu den Baracken. Nun lä-
chelte Stefan wieder. Voller Bewunderung schaute er
seinen großen Bruder an.
»Wir haben es ihnen gegeben, nicht wahr, Mirko?«
Milan nickte.
»Aber ja. Wir haben es ihnen gegeben. Bis auf die
Knochen haben wir sie gefickt.«
»Sie werden nie wieder herkommen und über den
Zaun nach mir werfen?«
»Nein, nie wieder«, bestätigte Milan.
Stefan lächelte beruhigt. Er war noch ein Kind. Ein
Kind, das vor einigen Tagen stöhnend einen Mann ge-
fickt hatte, der tot im Schlamm lag. Milan verjagte die-
ses Bild aus seinem Kopf und stieß die Tür auf, über der
ein altes verrostetes Schild mit der Aufschrift >Empfang< quietschend hin und her schaukelte.
»Hallo, Ma. Wir sind's!« rief Milan. »Stefan und ich!«
»Ich bin doch nicht blind!« brummte Ma und schenkte
den Kaffee in riesige Tassen aus gebranntem Ton.
Auf jeder Tasse stand der Vorname eines ihrer drei
Söhne, mit schwarzer Farbe und ziemlich ungeschickt
geschrieben. Ma war eine kleine, im Vergleich zu den
drei Sprößlingen, die sie geboren hatte, unglaublich
kleine Frau. Ihre durch Arthritis entsetzlich verformten
Hände stellten die Kaffeekanne auf den Kocher zurück.
Seit Vaters Tod trug sie stets dasselbe schwarze Kopf-
tuch. Pa war ein maßloser Säufer gewesen, der im-
stande war, mit gut drei Litern Whisky im Bauch meh-
rere Tonnen Gußeisen hochzuheben, ohne fremde Hilfe
ein Polizeikommissariat in die Luft zu sprengen, zwan-
zig Kerle mit nichts als seinen Fäusten krankenhausreif
zu schlagen und Ma immer und überall zu bumsen,
wenn ihm danach zumute war. Pa war kein Mann, den
man so ohne weiteres vergessen konnte. Eines Morgens
fand man ihn tot in einem Rinnstein in der Nähe eines
Müllabladeplatzes: stocksteif, am Alkohol krepiert und
vor allem mit einem Messer im Rücken. Das war seine
letzte Prügelei gewesen. Damals war Stefan vier Jahre
alt.
Seit jenem Tag trug Ma Trauer. Und jedesmal, wenn
dieser Idiot von Vito zu behaupten wagte, er hätte gese-
hen, wie Ma Pa das Messer in den Rücken stach, ver-
paßte Milan ihm eine solche Ohrfeige, daß er fast aus
den Socken kippte. Vito sagte, an jenem Morgen habe
er nicht
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