Die Geier
mit Sylvies Liebhabern und ge-
nauen Zeitangaben!«
Mescard seufzte und schaute einen Moment lang zum
Fenster hinaus.
»Sie können gehen ...«, zischte er nach einer Weile.
»Sie brauchen mich nicht mehr?« fragte Carron er-
staunt.
Mescard ließ sich auf der Bettkante nieder.
»Warum fragen Sie? Möchten Sie weitere Enthüllun-
gen machen? Haben die Mörder etwa auch das Ge-
bäude verändert? Ist es am Ende nicht einmal mehr die-
selbe Stadt?«
Carron kniff die Lippen zusammen und verließ die
Wohnung.
Mescard wühlte in den Taschen seines Regenmantels.
Wie sollte er sich konzentrieren können, wenn er immer
nur an diese verfluchten Zigaretten denken mußte? Die
Sache wurde wirklich zu kompliziert. Er beschloß, zu
einem späteren Zeitpunkt mit dem Rauchen aufzuhören
und nun erst einmal Tabak zu kaufen. Irgendwo in
seinem Kopf gab es einen Zusammenhang. Der
>Selbstmord< des Journalisten, die Manifestationen, der Tod dieses Mädchens, das alles mußte zwangsläufig
miteinander zusammenhängen. Aber noch fehlten ihm
zu viele Teile des Puzzles, um das Motiv herausfinden
zu können.
Wenn er sich seine Zigaretten selbst drehen würde,
würde er bestimmt weniger rauchen ...
Zwanzigstes Kapitel
Das Essen ging in einer unheilvollen Atmosphäre zu
Ende. Der Küchenchef, ein düster wirkender Mann,
dessen Vokabular einzig und allein aus den Namen der
Menüs und Weine, die er servierte, zu bestehen schien,
brachte den Nachtisch, eine köstliche Erdbeercreme, die
Pamela Sirchos jedoch kaum anrührte. Auf der anderen
Seite des Tisches saß Hugo Russel und machte ein trau-
riges Gesicht. Diese Frau, die einst so begehrenswert, so
wunderschön, so voller Lebenslust, Liebenswürdigkeit
und Fröhlichkeit gewesen war, diese einzigartige Frau
verkümmerte, schrumpfte in sich zusammen, verwelkte
wie eine gepflückte Blume. Am Nachmittag war der von
ihrem Mann bestellte Psychiater eingetroffen und hatte
sich beinahe zwei Stunden lang mit Pamela unterhalten,
um Doktor Russel die Lage anschließend in wenigen
Worten zusammenzufassen.
»Sie hatten recht«, bestätigte er sogleich. »Es geht ihr
nicht besonders gut. Ihr Lebensrhythmus ist völlig aus
der Bahn geraten, ist unterbrochen worden, und mit
dieser neuen Belastung will Frau Sirchos sich nicht ab-
finden. Muß sie wirklich jede Anstrengung, jede Aufre-
gung vermeiden?«
Russel verzog ein wenig den Mund.
»Die vorherigen Herzklappen haben infolge der An-
strengungen nachgegeben«, erklärte er. »Pamela ist das,
was wir als einen Fall mit hohem Risikofaktor bezeich-
nen. Und Monsieur Sirchos hält es für angemessener,
nicht das geringste Risiko einzugehen.«
Ratlos nickte der Psychiater mit dem Kopf.
»Ich werde dreimal die Woche zu ihr kommen. Ich
hoffe, wir werden es schaffen.«
Damit war ihre Unterredung beendet. Der Psychiater
gab Russel die Hand und schien bereits gehen zu wol-
len, als er es sich plötzlich doch anders überlegte.
»Doktor Russel?«
»Ja?«
»Sind Sie, abgesehen von den Hausangestellten und
den Krankenschwestern, die einzige Person, mit der sie
täglich zusammengekommen ist?«
Stutzig geworden, runzelte Russel die Stirn.
»Ja ...«
Der Psychiater schnitt eine seltsame, beinahe belu-
stigte Grimasse.
»Dann hängt ihre Genesung zum größten Teil von
Ihnen ab«, murmelte er und verließ die Villa.
Russel dachte immer noch über den genauen Sinn die-
ses letzten Satzes nach, als Pamela plötzlich vom Tisch
aufstand.
»Eine Partie Schach?« schlug sie barsch vor.
»Gern«, antwortete der Arzt.
Er erhob sich, wischte sich den Mund ab, faltete seine
Serviette zusammen und folgte Pamela ins Spielzim-
mer.
Die Milliardärsgattin ließ sich an dem prunkvollen
Marmorbrett nieder, auf dem die getönten Kristallfigu-
ren aufgereiht waren. Dann nahm auch Russel Platz.
»Falten Sie Ihre Serviette immer zusammen?« fragte
sie mit leisem Spott und schob den Königsbauer ent-
schlossen zwei Felder vor. »Sie haben also noch nie ge-
merkt, daß man Ihnen nie dieselbe Serviette gereicht
hat?«
Russel ließ sich seine Verwirrung nicht anmerken.
Pamela machte sich in letzter Zeit immer häufiger über
ihn lustig. Auch wenn er sich noch immer nicht wirklich
daran gewöhnt hatte, so war er doch weniger verwund-
bar geworden und fühlte sich nicht mehr so oft belei-
digt.
»Ich bin so erzogen worden«, antwortete er nur. »Es
fällt mir schwer, mich umzustellen, und selbst wenn
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