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Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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auch gern an, nicht wahr, Herr Florestide? Wir laden den ganzen Hof ein und veranstalten eine Jagd. O bitte, mein Gemahl, das könnt Ihr mir nicht abschlagen …«
    Amra seufzte, während Heinrich widerwillig zustimmte und der Aquitanier die junge Herzogin ungläubig musterte. Die Einzigen, die einer großen Falkenjagd bei diesem Wetter etwas abgewinnen konnten, waren wahrscheinlich Melisande und der slawische Fürst, der sich Hoffnungen auf Amra zu machen schien. Amra fühlte sich zutiefst erschöpft.
    Früher, beim Lesen der Dichtungen und Rittergeschichten, hatte sie sich den Minnehof stets als einen Hort immerwährender Fröhlichkeit und Zerstreuung vorgestellt. Aber jetzt sah sie die Intrigen hinter der Fassade. Sie wünschte sich nichts mehr als Ruhe und vielleicht ein bekanntes Gesicht. Es wäre schön, ihre Mutter wiederzusehen – oder Herrn Baruch, der immer einen Rat gewusst hatte. Wobei Basima und Dschamila ihr wohl am besten würden helfen können – deren Lehrmeisterin hatte sie sicherlich auch auf Haremsintrigen vorbereitet. Amra hätte am liebsten geweint, doch sie zwang sich zu einem Lächeln – und wusste, dass sie ganz im Sinne ihrer orientalischen Freundinnen gehandelt hatte, als Heinrich es jetzt verschwörerisch erwiderte. Zweifellos hätten ihr auch Basima und Dschamila geraten, um die Gunst des Herrn des Hofes zu buhlen. Wenn man ihn nicht liebte, so spielte man es ihm eben vor. Amra hingegen war das alles nur leid. Sie wollte ein ehrliches Lächeln, ehrliche Zärtlichkeiten, ehrliche Liebe.
    Amra sehnte sich nach Magnus. Der hatte sie vielleicht verraten, aber er hatte wenigstens nicht von ihr verlangt zu heucheln.
    Am nächsten Morgen regnete es in Strömen – selbst die hartgesottensten Jäger hätten sich bei diesem Wetter nicht in den Wald begeben. Zumal, wie Melisande bemerkte, wohl auch kein Rebhuhn und kein Hase aus seinem trockenen Versteck zu locken gewesen wäre. Mathilde sagte die Jagd denn auch ab und befahl ihren Hof stattdessen in ihre Räume. Herr Florestide unterhielt die Damen und jungen Ritter mit Gedichten und Liedern zur Laute, vorgetragen in der alten Sprache des Languedoc. Es war Mathildes Muttersprache, etliche andere, so auch Amra, verstanden allerdings kein Wort. Die junge Frau verbrachte den Morgen damit, gelangweilt zuzuschauen, wie der Regen das Pergament vor den Fenstern aufweichte. Immerhin trat ihr niemand zu nahe. Mathilde war mit ihrem aquitanischen Troubadour beschäftigt, und Herzog Heinrich hatte sich entschuldigt. Bischof Berno von Schwerin war zurück aus den vormals slawischen Ländereien des Herzogs und weilte nun bei ihm, um Bericht zu erstatten.
    Schließlich ließ der Regen etwas nach, und Amra sehnte sich heraus aus der stickigen Kemenate der Herzogin, in der es kaum Luft zum Atmen gab. Gewöhnlich hatten die Ritter anderes zu tun, als schon morgens Spielleuten zu lauschen, und auch die Hofdamen gingen normalerweise verschiedenen Beschäftigungen nach. Aufgrund der für den Tag eigentlich anberaumten Jagd waren die Übungsstunden für die Ritter aber ausgefallen – bei dem Wetter war es kaum jemandem ein Bedürfnis, die Pferde zu bewegen und freundschaftlich die Waffen zu kreuzen –, und auch die Mädchen drängte es ins Warme. So ballte sich alles in dem schlecht belüfteten Raum. Irgendwann meinte Amra, es nicht mehr aushalten zu können. Sie entschuldigte sich bei Melisande mit Übelkeit und stahl sich aus der Kemenate, während Mathilde ein mit Florestides Hilfe verfasstes Gedicht vortrug.
    Amra atmete tief durch, als sie endlich die Freitreppe zum Garten hinablief. Es nieselte noch ein wenig, doch wenigstens war die Luft frisch. Sie duftete nach Erde und Regen. Vor allem aber herrschte Stille. Amra war eigentlich ein geselliger Mensch, sie hätte nie gedacht, dass sie die Ruhe auf den Klippen und Höhenwegen, in den Wäldern und an den Stränden Rujanas eines Tages vermissen würde. Jetzt hingegen sehnte sie sich nach dem grauen Himmel ihrer Heimatinsel und der Stille, die nur vom Flüstern oder Brausen des Meeres gebrochen wurde.
    Langsam, um auf den nassen Stiegen nicht auszurutschen, ging Amra in den Hof hinaus und wanderte durch den Rosengarten der Herzogin zu den Obst- und Küchengärten. Selbst wenn sich eine der Edelfrauen Mathildes bei diesem Wetter nach draußen verirrte – hierher kamen die verwöhnten Frauen und Mädchen nie. Amra dachte darüber nach, in die Küche zu gehen und dort ein wenig mit den Köchen und

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