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Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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in dieser Nacht.
    »Herr Magnus?«
    Es war bereits stockdunkel in den Ställen, und auch im Rittersaal waren die trunkenen Stimmen der letzten Zecher verstummt. Magnus hatte noch nicht geschlafen, war jedoch in dumpfem Brüten versunken gewesen und fuhr nun auf, als er eine Stimme seinen Namen flüstern hörte. Eine Frauenstimme. Aber Amra war es nicht.
    »Wer ist da?«, fragte er heiser.
    Ein Funken blitzte auf, seine Besucherin entzündete eine Kerze.
    »Ich, Melisande von Kent. Ich … ich komme von Amra.«
    Das unscheinbare Mädchen schob sich näher an ihn heran, damit er ihr Flüstern hörte. Magnus war sofort hellwach.
    »Warum kommt sie nicht selbst?«, fragte er. »Wenn es so leicht ist, sich hier herunterzuschleichen?«
    »So leicht ist es nicht«, meinte Melisande. »Und Amra steht unter dauernder Beobachtung. Die Herzogin hat sie bei Frau Mariana und Frau Aveline untergebracht. Die sollen auf sie aufpassen. Amra kommt da nicht so leicht heraus. Aber … aber …« Melisande kaute mit ihren riesigen Schneidezähnen auf ihrer Unterlippe herum. »Grundsätzlich ginge es schon …«
    »Grundsätzlich ginge was?«, fragte Magnus und richtete sich alarmiert auf.
    Melisande wandte schamhaft das Gesicht ab, anscheinend hatte sie nie einen Ritter in seiner Unterkleidung gesehen. Dabei bot sich ihr gar kein unziemlicher Anblick. Magnus schlief im Hemd und in den leinenen Beinkleidern, die er sonst unter der Rüstung trug.
    »Eine Flucht!«, sagte Melisande gewichtig. »Amra will nicht ins Kloster. Sie will mit Euch fliehen. Aber die Frage ist, ob Ihr das auch wollt. Ich habe ihr gesagt, es geht nicht, Ihr würdet Euer ganzes Leben aufgeben, aber …«
    »Wie?«, unterbrach Magnus sie heiser. »Sagt mir nur, wie wir es anstellen können. Wie kann ich sie holen, was kann ich tun? Ich könnte ihre Eskorte überfallen und sie befreien, wenn Ihr mir sagt, wann sie losreitet und wohin man sie schickt.«
    Melisande blickte skeptisch. Offensichtlich war den Frauen schon etwas Besseres eingefallen. »Ihr könnt gar nichts tun«, beschied Melisande ihn jetzt. »Allein eine Eskorte überfallen, Ihr seid ja des Wahnsinns! Aber das müsst Ihr auch nicht, Ihr müsst Amra nur erwarten, auf der Lichtung im Wald, auf der wir Rebhühner jagen. Sie wird die Burg verlassen, indem sie mit mir den Platz tauscht. Ich stehe meist sehr früh auf, um der Herzogin aufzuwarten. Das wundert keines der Mädchen, die mit mir die Kammer teilen. Wenn Amra zur gleichen Zeit auf den Abtritt geht, könnten wir die Rollen tauschen: Ich gehe zurück in Amras Schlafgemach und sie nimmt mein Pferd und verlässt bei Sonnenaufgang die Burg.«
    »Mit welcher Begründung?«, erkundigte sich Magnus.
    Melisande zuckte die Schultern. »Falkenjagd«, meinte sie. »Ich trainiere zwei Falken, meinen und den kleinen der Herzogin. Die Wache wundert sich nicht, wenn ich so früh ausreite.«
    Magnus runzelte die Stirn. »Die Wache lässt Euch ohne Begleitung zur halben Nacht in den Wald?«, fragte er.
    »Nicht ohne Begleitung – mit dem Falkner«, schränkte Melisande ein.
    »Und der wird Euch morgen früh mit Amra verwechseln?«, höhnte Magnus. »Verzeiht mir, aber Ihr seht einander nicht sehr ähnlich.«
    Melisande blickte verletzt. »Übermorgen«, sagte sie dann, beherrscht wie immer. »Morgen bin ich tatsächlich dazu eingeteilt, Frau Mathilde aufzuwarten. Übermorgen ist es Joana. Und der Falkner muss natürlich Bescheid wissen.«
    »Und er begeht Verrat für Euch an seinem Herrn?« Der Erste Falkner war ein Ritter, der bei Heinrich im Dienst stand. Ein begehrtes Hofamt, das man nicht leichtfertig aufs Spiel setzte.
    Melisande errötete. »Auch für ihn ist es Minnedienst«, sagte sie knapp.
    Magnus wollte auffahren. Noch ein Konkurrent um Amras Gunst? Noch jemand, der ihr verfallen war? Aber dann erkannte er, dass der Falkner es wohl eher für Melisande tat. Für die meisten Ritter war sie nicht sehr anziehend, aber der Falkner wusste wohl andere Qualitäten zu schätzen als glänzendes Haar und feuchte Lippen. Melisande war zweifellos klug, loyal und außerordentlich geschickt im Umgang mit Pferden und Greifvögeln. Magnus konnte den beiden nur alles Glück der Welt wünschen.
    »Außerdem werden Joana davon wissen müssen und Frau Mariana«, führte Melisande weiter aus. »Frau Aveline hat einen tiefen Schlaf, aber Frau Mariana erhebt sich beim ersten Hahnenschrei. Sie wird wach werden, wenn Amra den Raum verlässt und ich an ihrer Stelle zurückkehre. Aber

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