Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
Vom Netzwerk:
die Kapelle gut gefüllt. Pribislav kniete neben dem aufgebahrten Leichnam und schien ehrlich zu trauern. Seine Ritter, aber auch die sächsische und dänische Abordnung, drängten sich dahinter. Vaclav von Arkona hatte die Führung Letzterer an sich gerissen, er schien Pribislav gar nicht oft genug sein Beileid aussprechen zu können. Ab und zu streifte sein Blick Amra, zu ihrem Schrecken mit der alten Begierde und gleichzeitig einem seltsamen Ausdruck von Zufriedenheit. Heribert von Fulda wirkte aufgewühlt. Er stand der sächsischen Abordnung vor und schien sich ebenfalls verpflichtet zu fühlen, die erste Nacht der Totenwache im Gebet zu verbringen.
    Als die Sonne aufging, verließen immer mehr Ritter und Frauen ihre Betpulte. Vaclav und Heribert harrten zwar tapfer aus, schienen aber in einen Halbschlaf versunken zu sein, desgleichen Relana. Amra beschloss, die Gunst der Stunde zu nutzen. Niemand würde sich etwas dabei denken, wenn sie kurz hinausging. Die Luft in der Kirche war abgestanden und schwer von Weihrauch, sie konnte Übelkeit vortäuschen, aber auch allgemeine Erschöpfung. Gerade trauernden Frauen gestand man solche Ruhepausen zu, obwohl Troubadoure natürlich gern die Ausdauer besangen, mit der eine Witwe ihren gefallenen Gemahl beweinte.
    Amra stand also ruhig auf, knickste und bekreuzigte sich beim Verlassen ihres Betpultes und auch noch einmal, als sie die Burgkapelle verließ. Es gab einen direkten Zugang zu den Frauengemächern, den die junge Frau jetzt nahm, dann tastete sie sich rasch über die Wehrgänge und die Stiegen hinunter zum Burghof. Es war nicht ganz leicht, sich hier zu orientieren, aber zum Glück war die Nacht sternenklar, und alle slawischen Burgen waren mehr oder weniger gleich aufgebaut.
    Amra schlich sich zum Küchenhaus, wo sie eine Laterne und einen Feuerstein fand, mit dem sie die Kerze entzünden konnte. Nur nicht zu früh, den Westturm würde sie auch so finden. Ob das Verlies bewacht war? Die Türme waren sicher bemannt, mit etwas Glück konnte Amra jedoch ungesehen in den Gefängnisturm kommen, wenn sie sich nahe der Wände im Schatten hielt.
    Das Gebäude lag in völliger Dunkelheit, doch Amra scheute sich davor, ihre Laterne zu entzünden. Als sie über die Stufen, die zum Eingang des Turmes führten, stolperte, wurde ihr aber bewusst, dass es sein musste. Sie liefe sonst Gefahr, in das primitive Verlies zu stürzen. Auf Arkona hatte es einen regelrechten Kerker gegeben, schließlich nahmen die Piraten dort oft Gefangene, die mitunter monatelang dort lagen, bis das Lösegeld eintraf. Auf den meisten Burgen bestand dieser jedoch nur aus einem Kellerloch und wurde eher selten benötigt. Kleine Gauner aus der Siedlung stellte man gleich an den Pranger, und der Adel machte seine Streitigkeiten eher unter sich aus, als Gerichte zu bemühen. Man sperrte Ritter auch nur selten ein. Selbst wenn sie als Geiseln an einem Hof weilten, ließ man sie auf Ehrenwort frei herumlaufen.
    Als Amra jetzt einen Funken schlug und ihre Kerze aufleuchtete, erkannte sie eine Grube, die fast den gesamten Grundriss des Turmes einnahm. Sie war nicht sehr tief, zwei Männer hätten einander gegenseitig heraushelfen können, allerdings gab es Ketten an den Wänden. Amra erkannte Magnus im Dämmerlicht, er lag auf schmutzigem Stroh, so kurz angekettet, dass er sich kaum ausstrecken konnte. Jetzt fuhr er auf.
    »Amra!«
    Magnus wollte sich erheben, aber die Fußkette hielt ihn, und er strauchelte. Amra sah, dass man ihm seine Rüstung weggenommen hatte. Er trug nur ein Wams aus grobem Leinen und ebensolche Beinlinge. In dem Kellerverlies musste er entsetzlich frieren.
    »Amra, ich wäre früher gekommen. Aber ich habe nicht gewusst, wo du bist. Ich habe dich gesucht, ich wollte dich nicht im Stich lassen, ich …« Er streckte die Hände nach ihr aus.
    Amra ließ sich am Rande des Verlieses nieder. »Du bist gerade zurechtgekommen«, sagte sie. »Als ich schon jede Hoffnung aufgegeben hatte. Dieser Niklot … ich wusste nicht, worauf ich mich einließ, ich wusste nicht, wer er war …«
    »Du hast dieser Hochzeit also tatsächlich zugestimmt?«, fragte Magnus. Seine Augen flehten um ein Nein.
    »Ich konnte nicht im Kloster bleiben. Und du warst fort, ich wusste ja nicht mal, ob du noch lebst. Da dachte ich … Aber lass uns nicht davon reden, was ich dachte und du dachtest, und was ich wusste und du wusstest, und erst recht nicht über diese unselige Hochzeit! Ich brauche ein paar Antworten,

Weitere Kostenlose Bücher