Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)
einsetzenden Regen vom Wagen zu holen, als Herr Baruch erschien. Auch er im Laufschritt, seinem Alter zum Trotz, mit flatternden Gewändern. Allerdings hatte der Händler sich in den letzten Jahren kaum verändert. Sein Gesicht war ein wenig faltiger geworden, vielleicht auch etwas hagerer als vor Amras Weggang, das rote Haar war gänzlich ergraut. Aber für sein Alter wirkte er noch frisch, die grünen Augen strahlten, und er lachte über das ganze Gesicht, als er Amra vor sich sah.
»Amra, Kind! Und ich dachte schon, der Junge hält mich zum Narren!«
Baruch näherte sich der jungen Frau mit ausgestreckten Armen, im letzten Moment ergriff er dann aber doch nur ihre Hände und drückte sie an seine Brust.
»Und noch schöner bist du geworden! Was wird sich deine Mutter freuen nach all diesen Jahren. Warum hast du denn nicht geschrieben, Kind? Jeder Jude hätte einen Brief befördert.«
Amra biss sich auf die Lippen. Natürlich hatte sie eine Ausrede. Als Novizin in Walsrode wäre sie einem Juden nicht auf Steinwurfweite nahe gekommen. In den letzten Monaten hätte sie natürlich dennoch ein Lebenszeichen senden können.
»Ich … es gab immer so viel zu tun.«
Baruch lachte. »Ach, lass nur! Komm erst mal rein. Wen hast du denn da mitgebracht? Ist das … Herr Magnus, seid Ihr es wirklich?«
Kurz darauf saßen Amra und Magnus in dem kleinen, aber warmen und gemütlichen Raum, in dem Baruch wohl die Abende verbrachte. Im Kamin brannte ein Feuer, vor dem der Hund sich wohlig ausstreckte. Am Boden lag ein Teppich, die Sessel waren mit Kissen gepolstert. Magnus, der sich zum ersten Mal im Haus eines der reichen Handelsherren aufhielt, wunderte sich darüber, dass der Luxus dem des Adels auf den Burgen nicht nachstand. Im Gegenteil, das kleine Haus war leichter zu heizen und weniger zugig als die Kemenaten über den Rittersälen.
Baruchs griesgrämige Haushälterin brachte Brot, Fleisch und Käse sowie den besten Wein. Amra hatte selten so süßen getrunken, Magnus überhaupt noch nie. In den Unterkünften der Ritter schenkte man viel Wein aus, die Qualität war jedoch eher zweitrangig.
Baruch lauschte aufmerksam den Erzählungen seiner Gäste. »Ich hörte von diesem Eklat bei der Hochzeit des slawischen Fürsten«, meinte er schließlich. »Aber niemand nannte den Namen der Braut oder des Ritters, der ihn getötet hat. Und mich interessierte es nicht so, ich handle wenig mit den Leuten aus Mikelenburg. Und dann seid ihr mit Gauklern über Land gezogen?«
Baruch lachte herzlich, als Amra nun vom Pferdeorakel berichtete. »Sie hat das als junges Mädchen schon durchschaut!«, erklärte er Magnus stolz. »Und es gleich mit meiner Stute nachgemacht. Sie hat keinen Respekt vor den Göttern, meine kleine Amra.«
Amras Gesicht verdüsterte sich. »Nun, Ihr ja wohl auch nicht, Herr Baruch!«, sagte sie vorlaut. »Euer Gott verbietet Euch doch zu … zu enge Beziehungen mit Frauen, die nicht jüdisch sind, oder? Das habe ich jetzt jedenfalls gelernt. Und dass die Farbe meines Haars und meiner Augen kein Zufall sein soll … Was sagt Ihr dazu, Herr Baruch? Meine Mutter sagte stets, ich habe das Haar meines Vaters …«
Diesmal war es an Herrn Baruch, vor Scham zu erröten. Er fing sich jedoch schnell wieder. »Ja, Amra …«, sagte er leise. »Das Haar und die Augen hast du von deinem Vater. Aber nicht von Mirnesas Gatten, der drei Jahre vor deiner Geburt auf dem Meer blieb. Ich muss es zugeben: Mirnesa ist mehr für mich als die Hüterin meines Hauses auf Rujana. Ich war und bin ihr von ganzem Herzen zugetan, und ich habe immer gut für dich gesorgt, Amra – soweit du mich ließest. Immer konnte ich dich ja nicht schützen. Wenn Gott mich dafür verdammen will, so kann ich es nicht ändern. Ich hoffe einfach … ich hoffe einfach, er hat Erbarmen mit denen, die lieben.«
Magnus legte seine Hand auf den Arm des alten Mannes. »Über Amra und mich hat er bislang stets die Hand gehalten«, sagte er freundlich.
Amra biss sich auf die Lippen, um nicht zu widersprechen. Sie hatte von der Hand des Allmächtigen nie viel gemerkt. Wenn ihr irgendetwas genützt hatte, dann eigentlich nur das, was Magnus eher ablehnte: kleine Schwindeleien bezüglich ihrer Abkunft, Bauchtanz sowie Pferdeorakel und die Freundschaft mit Leuten, die in der Kirche gar nicht gern gesehen waren. Aber wenn Magnus und Baruch der Glaube tröstete, dass da Götter, welche auch immer, über sie wachten …
»Jetzt brauchen wir allerdings ganz
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