Die Geisha - Memoirs of a Geisha
fast übel, denn er trug nichts als einen Hausmantel aus Baumwollstoff. In einer Hand hielt er ein Handtuch, mit dem er die langen schwarzen Haare in seinem Gesicht frottierte, die angeblich ein Bart sein sollten. Offensichtlich kam er direkt aus dem Bad. Ich erhob mich, um mich zu verneigen.
»Ich bin ein furchtbarer Dummkopf, Sayuri«, sagte er zu mir. »Ich habe viel zuviel getrunken.« Dieser Teil stimmte. »Ich hatte vergessen, daß du hier auf mich wartest! Hoffentlich vergibst du mir, wenn du siehst, was ich für dich habe.«
Der Baron ging den Flur entlang ins Hausinnere. Offensichtlich erwartete er von mir, daß ich ihm folgte. Eingedenk Mamehas Bemerkung, eine Lerngeisha kurz vor ihrer mizuage sei so etwas wie ein appetitliches Mahl, blieb ich zurück.
Der Baron hielt inne. »Nun komm schon!« forderte er mich auf.
»Ach bitte, Baron, ich sollte wirklich nicht. Gestatten Sie mir, hier zu warten.«
»Ich habe ein Geschenk für dich. Komm einfach mit in meine Privaträume und setz dich. Sei doch kein so dummes Mädchen!«
»Aber Baron«, gab ich zurück, »ich kann nicht anders, als ein dummes Mädchen zu sein. Denn genau das bin ich.«
»Morgen stehst du wieder unter Mamehas Aufsicht, eh? Aber hier ist keiner, der dich beobachtet.«
Hätte ich in jenem Moment meinen gesunden Menschenverstand beisammen gehabt, ich hätte dem Baron dafür gedankt, daß er mich zu seiner bezaubernden Party eingeladen hatte, und ihm erklärt, wie sehr ich es bedaure, jetzt noch sein Automobil in Anspruch nehmen zu müssen, damit es mich in das Gasthaus zurückbringe. Aber inzwischen war alles unwirklich für mich geworden… Wie ich vermute, war ich in eine Art Schockzustand geraten. Alles, was ich noch wahrnahm, war meine Angst.
»Komm mit mir hinein, während ich mich ankleide«, sagte der Baron. »Hast du heute nachmittag viel Sake getrunken?«
Eine ganze Weile verstrich. Mein Gesicht fühlte sich an, als trüge es überhaupt keinen Ausdruck, sondern hinge einfach an meinem Kopf herab.
»Nein, Herr«, brachte ich schließlich heraus.
»Das habe ich mir gedacht. Ich werde dir soviel geben, wie du nur magst. Und jetzt komm.«
»Baron«, sagte ich, »bitte! Ich bin sicher, daß man mich im Gasthaus erwartet.«
»Erwartet? Wer erwartet dich denn?«
Ich antwortete nicht.
»Wer dich erwartet, habe ich gefragt! Ich begreife nicht, warum du dich so anstellst. Ich habe ein Geschenk für dich, das ich dir geben möchte. Soll ich etwa losgehen und es dir holen?«
»Es tut mir leid«, sagte ich.
Der Baron starrte mich sprachlos an. »Du wartest hier«, sagte er dann und kehrte ins Haus zurück. Kurze Zeit später kam er wieder und hielt ein flaches, in Leinenpapier gewickeltes Päckchen in der Hand. Ich brauchte nicht näher hinzusehen, um zu erkennen, daß es ein Kimono war.
»Also«, sagte er zu mir, »da du darauf bestehst, ein dummes Mädchen zu sein, habe ich dir dein Geschenk gebracht. Fühlst du dich jetzt besser?«
Wieder versicherte ich dem Baron, daß es mir leid tue.
»Wie ich neulich festgestellt habe, hast du diesen Kimono besonders bewundert. Deswegen möchte ich ihn dir schenken.«
Der Baron legte das Päckchen auf den Tisch, löste die Schnur und öffnete es. Ich dachte, es wäre der Kimono mit der Landschaft von Kobe und war deswegen ebenso besorgt wie freudig erregt, denn ich hatte keine Ahnung, was ich mit einem so kostbaren Gewand anfangen und wie ich Mameha erklären sollte, warum der Baron es mir gegeben hatte. Als der Baron die Verpackung öffnete, sah ich statt dessen jedoch einen prächtigen, dunklen Stoff mit Lackfäden und silbernen Stickereien. Er nahm den Kimono heraus und hielt ihn an den Schultern empor. Es war ein Kunstwerk, das eigentlich in ein Museum gehörte: Er stammte aus den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts, wie der Baron mir erklärte, und war für die Nichte des allerletzten Shogun Tokugawa Yoshinobu angefertigt worden. Das Muster zeigte Silbervögel am Nachthimmel, und vom Saum her breitete sich eine Landschaft aus dunklen Bäumen und Felsen aus.
»Du mußt mit mir hineinkommen und ihn anprobieren«, sagte er. »Nun sei doch kein so dummes Mädchen! Ich habe reichlich Erfahrung im Obi-Binden. Im Handumdrehen haben wir dich wieder in deinen eigenen Kimono gesteckt, und kein Mensch wird je davon erfahren.«
Mit Freuden hätte ich den Kimono, den der Baron mir schenken wollte, gegen einen Ausweg aus dieser Situation eingetauscht. Aber er war ein Mann mit soviel
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