Die Geisha - Memoirs of a Geisha
länger als nötig brauchte.
Er führte mich zum See hinunter, wo der Baron mit drei Geishas aus Tokyo unter einem Kirschbaum auf einer Matte saß. Alle vier erhoben sich, obwohl der Baron einige Probleme damit hatte. Sein Gesicht war vom Alkohol rot gefleckt, so daß es aussah, als habe ihn jemand immer wieder mit einem Stock geschlagen.
»Direktor!« sagte der Baron. »Ich freue mich sehr, daß Sie zu meiner Party kommen. Ich freue mich immer, wenn ich Sie hier begrüßen darf, wußten Sie das? Ihr Unternehmen hört ja überhaupt nicht mehr auf zu wachsen, nicht wahr? Hat Sayuri Ihnen erzählt, daß Nobu letzte Woche auf meiner Party in Kyoto war?«
»Nobu hat mir alles davon erzählt, und ich bin sicher, daß er so war wie immer.«
»Das war er allerdings«, bestätigte der Baron. »Merkwürdiger kleiner Mann, was?«
Ich weiß nicht, was sich der Baron dabei dachte, denn er selbst war sogar noch kleiner als Nobu. Dem Direktor schien seine Bemerkung nicht zu gefallen, denn er verengte die Augen.
»Ich wollte sagen…«, begann der Baron, aber der Direktor fiel ihm ins Wort.
»Ich bin gekommen, um Ihnen zu danken und mich zu verabschieden, aber zuvor möchte ich Ihnen etwas geben.« Damit überreichte er das Kosmetikkästchen. Da der Baron zu betrunken war, um das Seidentuch zu entknoten, gab er es an eine der Geishas weiter, die ihm dieses Problem abnahm.
»Eine wunderschöne Arbeit!« sagte der Baron. »Findet ihr nicht auch? Seht euch das an! Also, das ist ja fast schöner als dieses exquisite Wesen, das da neben Ihnen steht, Direktor. Kennen Sie Sayuri? Wenn nicht, werde ich Sie Ihnen vorstellen.«
»Oh, wir kennen uns gut, Sayuri und ich«, entgegnete der Direktor.
»Wie gut, Direktor? Gut genug, um mich neidisch zu machen?« Der Baron lachte über seinen Scherz, doch niemand folgte seinem Beispiel. »Jedenfalls erinnert mich dieses großzügige Geschenk daran, daß ich etwas für dich habe, Sayuri. Leider kann ich es dir erst geben, wenn die anderen Geishas gegangen sind, denn sonst wollen sie alle gleich auch etwas haben. Du wirst also warten müssen, bis die anderen nach Hause gegangen sind.«
»Der Baron ist zu liebenswürdig«, sagte ich, »aber ich möchte wirklich nicht lästig fallen.«
»Wie ich sehe, hast du von Mameha gelernt, wie man zu allem möglichen nein sagt. Erwarte mich also in der Eingangshalle, nachdem meine anderen Gäste gegangen sind. Bitte reden Sie ihr gut zu, Direktor, wenn sie Sie zu Ihrem Wagen begleitet.«
Wäre der Baron nicht so betrunken gewesen, hätte er den Direktor sicher selbst hinausbegleitet. Aber die beiden Herren verabschiedeten sich, und ich folgte dem Direktor zum Haus zurück. Während der Chauffeur ihm den Wagenschlag aufhielt, verneigte ich mich und dankte ihm für seine Freundlichkeit. Gerade wollte er einsteigen, da hielt er noch einmal kurz inne.
»Sayuri«, begann er, schien dann aber nicht weiterzuwissen. »Was hat Mameha dir über den Baron erzählt?«
»Nicht sehr viel, Herr. Das heißt… Nun ja, ich weiß nicht genau, was der Direktor meint.«
»Ist Mameha dir eine gute ältere Schwester? Lehrt sie dich all die Dinge, die du wissen mußt?«
»Aber ja, Direktor. Mameha hat mir mehr geholfen, als ich Ihnen sagen kann.«
»Nun gut«, sagte er. »Ich an deiner Stelle wäre sehr vorsichtig, wenn ein Mann wie der Baron sagt, er wolle mir etwas geben.«
Ich hatte keine Ahnung, wie ich darauf reagieren sollte, deswegen sagte ich, es sei sehr freundlich von dem Baron gewesen, überhaupt an mich zu denken.
»Ja, ja, sehr freundlich, gewiß. Sei aber bitte trotzdem vorsichtig.« Einen Moment sah er mich durchdringend an; dann stieg er in sein Automobil.
Die nächste Stunde verbrachte ich damit, unter den wenigen verbleibenden Gästen umherzuwandern und mir immer wieder alles ins Gedächtnis zu rufen, was der Direktor während unserer Begegnung zu mir gesagt hatte. Statt mir Gedanken über die Warnung zu machen, die er mir hatte zukommen lassen, war ich beglückt, daß er sich so lange mit mir unterhalten hatte. Ja, in meinem Kopf war überhaupt kein Platz für die bevorstehende Zusammenkunft mit dem Baron, bis ich schließlich im matten Spätnachmittagslicht mutterseelenallein in der Eingangshalle stand. Ich nahm mir die Freiheit, ein nahe gelegenes Tatami-Zimmer aufzusuchen, mich auf die Knie niederzulassen und auf den Park hinauszusehen. Zehn bis fünfzehn Minuten verstrichen, bis der Baron die Eingangshalle betrat. Bei seinem Anblick wurde mir
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