Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
ganze Stadt ist eine einzige gewaltige Buchmesse. Die Leute sind begeistert, sie sind richtig fröhlich und enthusiastisch. Es fehlt ihnen nur das Geld. Dieser Macià hat einen guten Riecher für Feiern, dass muss man ihm wirklich lassen. Und ich finde sogar, dass er das Recht hat, solche Veranstaltungen zu organisieren, nach allem, was er durchmachen musste, bis er Präsident werden konnte.« Octavio legte eine Pause ein, um nachzudenken und sich zu beruhigen. Dann meinte er noch: »Amadeo wird empört sein, wenn er mich hört, oder nicht?«
»Ich habe gar nicht gewusst, dass Sie mit Macià sympathisieren.«
Octavio zuckte mit den Achseln.
»Wie bei so vielen anderen Dingen auch, liegen meine Sympathien bei demjenigen, der seine Hausaufgaben macht. Der Unterschied ist nur, dass ich es zugebe, während die meisten unserer Freunde ihre Haltung mit irgendwelchen komplizierten politischen Theorien rechtfertigen.«
Teresa betrachtete, wie der Regen allmählich nachließ. Sie versuchte, sich auf das Gespräch zu konzentrieren, auch wenn politische Themen sie gewaltig langweilten.
»Übrigens«, fügte Octavio an, »man hat mir berichtet, dass Macià heute erkältet ist. Der arme Mann wird das Fest noch verpassen.«
Inzwischen hatte der Regen fast völlig aufgehört, da drangen von unten energische Schritte nach oben. Teresa erkannte sofort ihren Mann, der endlich nach Hause kam. ›Sein Anblick wird wie immer sauber und makellos sein‹, dachte sie. Anfangs hatte sie sich noch gefragt, wo er sich außerhalb seines Ankleideraumes so herausputzte oder wer ihn so sorgfältig rasierte. Doch angesichts seiner Verschlossenheit und aufgrund des Bewusstseins für die Bedrohung, die die Sache enthielt, verzichtete sie lieber auf Erklärungen. Schließlich hatte ihre Schwester Tatín ihr kurz vor der Hochzeit eine wichtige Maxime mitgegeben: »Eine Frau hat Glück, wenn sie weder fragt noch gefragt wird. Und ein guter Ehemann ist ein Mann, der die Rechnungen bezahlt und nicht stört.«
Amadeos Aussehen bestärkte ihre Gedanken. Mit dem Hut und den Handschuhen in den Händen sah er wie ein Geck aus. Der Hausherr zeigte sich keineswegs überrascht, die beiden im großen Salon vorzufinden. Er begrüßte seine Gattin mit einem flüchtigen Kuss auf die Stirn und reichte seinem Freund die Hand. Teresa hielt den Atem an.
»Habe ich eine Verabredung vergessen?«, fragte Amadeo mit Blick auf Octavio.
»Nein, keineswegs«, antwortete dieser. »Ich bin zu weit gegangen, indem ich einfach ohne Vorankündigung gekommen bin. Dabei ist es mir nur gelungen, deiner Frau die Zeit zu stehlen.«
»Ist etwas passiert?«
»Ich bin hergekommen, weil ich dich bitten wollte, unseren neuen Ausstellungsraum mit einer Werkschau deiner Bilder zu beehren.«
Amadeo verhehlte seine Befriedigung nicht.
»Sollen wir die Angelegenheit in Ruhe im Kabinett besprechen?«, fragte er.
»Ich werde die Mädchen bitten, euch etwas zu trinken zu bringen«, bot Teresa eifrig an, die sogleich vom Männergespräch ausgeschlossen wurde.
Aber insgeheim kam sie nicht umhin, sich für töricht zu halten. Wieso sollte ihr Ehemann den Besuch seines engsten Freundes merkwürdig finden? Wie konnten ihr bei so edlen Menschen nur so schändliche Gedanken durch den Kopf gehen? Bevor sie die Treppe erreichte, forderte Amadeos Stimme sie mit der üblichen Autorität auf: »Liebling, zieh dir etwas Schlichteres an. Ich möchte, dass du mich zu dem Empfang der Generalitat begleitest.« An Octavio gewandt, erklärte er: »Man hat mich dieses Jahr als Mitglied der Jury für den Wettbewerb der Blumenstände nominiert. Was für eine Aufgabe! Hast du gewusst, dass sie Preise im Wert von vierhundert Peseten vergeben? Das muss man sich mal vorstellen!«
Teresa ging hinauf und wählte ein anderes Kleid. Sie liebte es, ihren Mann bei offiziellen Anlässen zu begleiten. Bei solchen Gelegenheiten war Amadeo weitaus aufmerksamer als üblich. Er lächelte dabei allen Menschen zu und pflegte die Facette seines Charakters, die alle bewunderten, vor allem seine eigene Gemahlin. Bei diesen Menschenansammlungen mit so vielen bedeutenden Persönlichkeiten und kultivierten Menschen der Stadt war sich Teresa ihrer eigenen Ausstrahlung bewusst. Sie war gewissermaßen dazu erzogen worden, und ihr entging nicht, welche Anziehungskraft ihre Schönheit auf andere ausübte. Und auch nicht der Neid, den sowohl sie wie Amadeo bei ihren Auftritten weckten.
Aber es gab noch einen weiteren Grund, aus dem
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