Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
zögert. Er betrachtet die Tür, ohne zu wissen, was er tun soll. Der Beamte wird ungeduldig.
»Wir machen sie auf.«
»Vielleicht sollte man Violeta anrufen«, schlägt Arcadio vor.
»Violeta Lax? Wozu das denn? Ich denke nicht, dass wir sie wegen so etwas stören sollten.«
»Das Haus befand sich im Besitz ihrer Familie. Es geht sie sehr wohl etwas an.«
»Ehrlich gesagt, Señor Pérez, denke ich, wir sollten sie deswegen nicht belästigen. Das Haus befindet sich nun seit vielen Jahren im Besitz der katalanischen Regierung, und Sie und ich sind als Einziger für das, was hier geschieht, verantwortlich. Machen Sie sich keine Sorgen, ich übernehme die volle Verantwortung. Wir machen jetzt die Tür auf. In drei Tagen beginnen die Bauarbeiten, und Überraschungen in letzter Minute sollte man tunlichst vermeiden.«
Arcadio behält seine Meinung über die Bauarbeiten für sich. Sein gemäßigtes Verhalten ist ein weiterer Grund, warum er es bis hierher gebracht hat: Er gehört zu dieser Sorte Menschen, deren Klugheit von Aufschneidern für Dummheit gehalten wird. Darin hat er sich seit Jahren geübt. Er seufzt geduldig. Der Restaurator greift in das Gespräch ein und gibt ihm eine andere Wendung.
»Rein technisch gesehen können wir sie gar nicht öffnen«, versichert er mit einer Geste auf das Schloss. »Es gibt keinen Griff«, erklärt er, während er dagegen stößt. »Man muss sie aufbrechen.«
»Dann vorwärts«, tönt der Beamte, stolz und selbstsicher. »Ich denke, das ist nicht weiter schwierig. Die ist ohnehin hinüber.«
Arcadio runzelt die Stirn. Er betrachtet die Tür, die der Restaurator weiterhin von den Putzfragmenten befreit. Das Holz ist spröde und rissig. Ein Kind bekäme sie mühelos auf.
Der Beamte der Generalitat legt die Eile eines Menschen an den Tag, der es gewohnt ist, Entscheidungen zu treffen und sein Soll zu erfüllen, ohne Zeit mit Mutmaßungen zu vergeuden. Ein Mann auf der Höhe der Zeit, der oftmals am Tag das Wort »Effizienz« von sich gibt und an seinen einmal getroffenen Entscheidungen festhält. Immer.
Er schiebt den Restaurator zur Seite, nimmt Anlauf und verabreicht dem verblassten Holzteil, das einmal eine Tür war, einen kräftigen Fußtritt. Unter der Explosion von Holzsplittern ist ein dumpfes Ächzen zu hören.
»All die Jahre Taekwondo müssen doch zu etwas gut sein, oder?«, stellt der Beamte triumphierend fest, während er die Schöße seines Jacketts wieder richtet. Der dunkle Holzfußboden ist mit trockenen Holzsplittern übersät. Ein beißender Geruch strömt aus dem soeben geöffneten Hohlraum.
Die drei Männer lösen die Reste der Holztür ab. Diese Arbeit ist nicht so einfach wie erwartet. Fast, als wolle das Holz nochmals darauf hinweisen, dass sich schließlich und endlich alle Dinge an den Ort klammern, an den sie gehören. Als sie fertig sind und die Reste der Zerstörung beiseite geschafft haben, spähen sie in den Innenraum: nur ein geheimer Unterschlupf, der enger als seine Öffnung ist und dessen zwei Seitenwände aufeinander zu laufen. Ein weiterer Ausgang ist nicht zu sehen. Hinten liegen Handfeger und Kehrbesen, aber die drei Fremden haben dafür kein Auge. Auf dem schmutzigen Untergrund liegt etwas, das den Großteil des Fußbodens einnimmt und das ihre Aufmerksamkeit weitaus mehr beansprucht: die hagere Mumie eines menschlichen Wesens.
Die Leiche ist vollständig vertrocknet. Glücklicherweise können sie ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen, aber durchaus die strubbelige Haarmähne, die mit den Schädelknochen verbunden ist, die Kleiderfetzen, die sie noch trägt, und ein Paar Pantoffeln mit Absätzen, die unter anderen Umständen den schmalen Füßen geschmeichelt hätten.
»Verdammte Scheiße!«, ruft der Beamte und verzieht angewidert das Gesicht.
»Vielleicht sollten wir jetzt Violeta Lax benachrichtigen«, schlägt Arcadio in seinem üblichen gleichgültigen Tonfall vor, wenn auch diesmal mit insgeheimer Genugtuung.
Der Restaurator fügt noch hinzu: »Und auch die Polizei.«
Streife Nr. 19 (Bürgeramt der Mossos d’Esquadra)
Protokoll 19854
Am 10. März 2010 ging auf der Wache der Anruf eines Mannes ein, der als Namen Arcadio Pérez angab und der berichtete, dass bei Renovierungsarbeiten hinter einer Wand eine mumifizierte Leiche entdeckt wurde. Die Streife begab sich zu der im Telefonat genannten Adresse im Pasaje Domingo, Hausnummer 7. Das Gebäude steht unter Denkmalschutz und befindet sich im Besitz der Generalitat. Im
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