Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
noch irgendwie außergewöhnlich war. »Los, Kinder, es ist kalt. Lasst uns wieder ins Haus gehen.«
Im Salon stellten währenddessen mehrere junge Burschen Sessel auf, die mit einem wunderschönen gelben Samtstoff bezogen waren.
Aber in diesem Moment hielten die Brüder gerade, die Köpfe eng nebeneinander und aufgestachelt von dem rätselhaften Versteck, eine Geheimsitzung ab. Amadeo war selbstverständlich der Anführer, der die Schultern seines jüngeren Bruders umschlungen hielt und ihm leise zuflüsterte, damit Concha ihn nicht verstehen konnte: »Das ist der Beginn des Geheimbundes der Besenkammer. Ich bin der Präsident des Bundes, und du und Violeta seid die Ehrenmitglieder. Wir werden uns von nun an jeden Montag zur Imbisszeit versammeln, und zwar genau hier. Es ist strengstens, und zwar bei Todesstrafe, verboten, irgendjemandem zu erzählen, was wir hier machen. Hast du das verstanden?«
Der jüngere Juan nickte erschrocken. Amadeo reichte ihm ausgesprochen feierlich die Hand und verließ die Kammer mit dem Gehabe des frischen Präsidentenamtes. Später wandte Juan sich an Violeta und verdeutlichte ihr das Gesagte:
»Wir sind der Geheimbund der Besenkammer. Wer etwas davon erzählt, der ist tot.«
Violeta klatschte begeistert in die Hände, ohne irgendetwas verstanden zu haben. Sie wiederholte nur: »Ist tot, ist tot.«
VII
Der Mann in dem weißen Overall mit dem bunten Fleckenmuster kommt vier Tage später wieder. Mit ihm betreten Arcadio und ein Beamter der katalanischen Regierung das Gebäude; es ist nicht der junge Mann von ihrem letzten Besuch, sondern sein direkter Vorgesetzter. Der Restaurator zeigt die gleiche Arbeitshaltung, die wir bereits kennen: Er hat keine Zeit zu verlieren. Schon gar nicht mit Gesprächen. Er überprüft, ob die Leinwand, mit der er das Fresko bedeckt hatte, getrocknet ist, klettert auf die Leiter, wiegt nachdenklich den Kopf und stellt schließlich fest: »Es kann abgenommen werden.«
Diese Operation erfordert das Können von Experten. Sie besteht darin, den Stoff so abzuziehen, dass zusammen mit der Leinwand auch noch eine einige Zentimeter dicke Putzschicht abgenommen wird. Auf dieser Schicht befindet sich Teresa, die Frau mit dem beunruhigenden Blick. Der Restaurator benötigt Hilfe, und Arcadio assistiert ihm. Die beiden Männer ziehen den Stoff ab und lassen ihn langsam zu Boden, so als würden sie einem schwächelnden Tier helfen, sich zu häuten. Am Ende des Tages ist das Fresko, das fast fünfundsiebzig Jahre lang die Wand im Hintergrund beherrschte, nur noch ein riesiges und merkwürdiges Stück Leinwand, das schlaff auf dem dunklen Holzfußboden liegt.
An der Wand bleibt ein unscheinbarer Abdruck von Teresa zurück. Ein Teil der Farbpigmente ist mehr als zwei Zentimeter tief eingedrungen, und dort, wo der Putz noch an der Wand hält, ist er mit dunklen Schatten verfärbt, so dass jemand, der das soeben abgenommene Fresko sehr gut kennt, es sich noch vorstellen kann: mit dem irrealen Schatten, der dem Fassbaren folgt.
Außer auf der linken Seite, wo die abgenommene Schicht den Blick auf ein ganz anderes Material freigegeben hat.
»Was ist das denn?«, fragt der Beamte, während er auf eine Stelle etwa achtzig Zentimeter über dem Fußboden zeigt.
Der Restaurator begutachtet die Wand, beseitigt kleinere Putzfragmente und kratzt mit dem Fingernagel daran.
Seine Begleiter werden unruhig.
»Mein Güte«, sagt er mit hochgezogenen Augenbrauen, »wir haben hier eine kleine Überraschung.«
Arcadio nähert sich der Stelle, die nun die Aufmerksamkeit der drei Besucher auf sich zieht. Unter der Putzschicht kommt deutlich eine Eisenplatte zum Vorschein.
»Das sieht nach einem Schloss aus«, stellt der Beamte fest.
Der Griff fehlt, aber der Mechanismus als solcher ist zu erkennen. Er zeigt mehrere Rostflecken.
»Eine Tür?«, fragt Arcadio und kneift die Augen zusammen. »Gibt es denn Türen in einer tragenden Wand?«
»Nein, nein. Die tragende Wand endet hier.« Der Restaurator zeigt auf die exakte Grenze. »Das Stück von hier bis dort ist eine andere Konstruktion. Man müsste die Originalpläne des Hauses einsehen, aber wenn das einmal ein Patio gewesen ist, dann war hier höchstwahrscheinlich eine Abstellkammer oder so etwas. Vielleicht ein Raum, der umgebaut worden ist. In diesen Häusern gab es meistens eine Treppe, die den Patio mit den Küchen oder mit den Dienstbotenzimmern verband. Aber die spannende Frage ist, was dahinter steckt.«
Arcadio
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