Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Die Geister schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Care Santos
Vom Netzwerk:
überprüfen. Du musst lernen. Nur wenn du etwas für deine Bildung tust, kannst du deine Stimme erheben, ohne dass jemand wagt, dir den Mund zu verbieten.«
    Maria del Roser legte bei ihren Ausführungen so viel Elan an den Tag, dass sie damit ihre Schülerin zuweilen erschreckte.
    »Weiß der Señor eigentlich, dass Sie so denken?«, fragte die Amme.
    »Aber natürlich weiß er das!«
    »Aber ist er Ihnen deswegen nicht böse?«
    Die Señora brach in ein Gelächter aus, das ihren Busen zum Beben brachte.
    »Er wäre mir böse, wenn ich ihm nicht mehr Kontra geben würde!«
    Concha hatte nie zuvor eine wohlerzogene Dame so reden gehört, und manchmal fürchtete sie um die geistige Gesundheit ihrer Señora, oder sie gelangte zu der Überzeugung, eine Revolutionärin vor sich zu haben. Ihre Neigung zur Entrüstung ging dabei, wie so oft, mit einer etwas beschränkten Weltsicht einher. Eine Frau, die es wagte, anders zu denken als ihr Ehemann? Eine Frau, die eigene Besucher empfing und das Haus nach Lust und Laune verließ? ›Der arme Señor Rodolfo, was für ein Kreuz hat er da zu tragen!‹, waren Conchas erste Gedanken.
    Neben ihren Mittwochstreffen im eigenen Haus führte Doña Maria del Roser ein bewegtes gesellschaftliches Leben. Fast jeden Nachmittag ging sie aus, und zuweilen kehrte sie noch später als ihr Ehemann heim. In dem Fall hielt sich der Hausherr wach und verkürzte sich seine Wartezeit mit Arbeit in seinem Kabinett, und das Abendessen wurde – manchmal zu wahren Unzeiten – in dem kleinen Salon der Señora gereicht, in dem für solche Zwecke ein Tisch mit einem Kohlebecken, das von der überhängenden Tischdecke verdeckt war, bereitstand. Das Tischgespräch zog sich zwangsläufig in die Länge, weil die beiden sich unbedingt berichten mussten, wie sie den Tag verbracht hatten, und des Öfteren hörte man sogar noch von der Treppe aus die Eheleute lauthals lachen. Danach pflegte der Hausherr die Nacht in den Gemächern seiner Gattin zu verbringen, und am nächsten Tag waren manche Gewohnheiten außer Kraft gesetzt, wie beispielsweise die morgendliche Zeitungslektüre oder das frühe Aufziehen der Vorhänge, weil die Herrschaften sich noch hinter den verschlossenen Türen aufhielten. Mehr als einmal erwischte man die Hausmädchen dabei, wie diese durch das Türschloss gewisse Szenen ausspähten, die ihnen nicht in den Kopf gingen. Denn damals war es keineswegs üblich, dass in einer Ehe, die aus familiären und wirtschaftlichen Bedürfnissen gestiftet und abgesegnet wurde, das Paar offensichtlich so glücklich zueinanderfand. Normalerweise lebten die Eheleute in einer distanzierten Teilnahmslosigkeit vor sich hin, jeder der beiden bewohnte seinen Trakt des Wohnhauses und beschäftigte sich mit seinen eigenen Angelegenheiten, bis irgendein Ereignis – das meistens außerhalb der Familie lag – ihnen Anlass zu einem Zusammentreffen gab, das dann trostlos, unterkühlt und vorwurfsvoll verlief und zu dem es besser nicht gekommen wäre.
    Im Hause der Eheleute Lax nahmen die Dinge einen anderen Lauf, so dass die Dienstboten – vor allem die weiblichen Hausangestellten – keine Gelegenheit verstreichen ließen, aller Welt von den unziemlichen und extravaganten Gewohnheiten ihrer Herrschaften zu berichten.
    »Wie schamlos! Und noch dazu so, dass es die Kinder hören können!«, schnaubte Eutimia vor Wut, ehe sie noch anmerkte: »Nun ja, aber das ist immer noch besser, als dass sie erfahren, dass ihre Mutter eine Ketzerin ist!«
    Nur selten wagte dann jemand eine Frage, außer vielleicht ein neues Dienstmädchen, das noch nicht mit den Besonderheiten der Familie vertraut war.
    »Was willst du damit sagen?«
    »Ja, weißt du das denn nicht? Aber darüber wird doch andauernd geschwatzt! Die Señora glaubt nicht an Gott!«
    Diese Anschuldigung führte in der Küche zu allgemeinem Tuscheln.
    »Aber das Schlimmste kommt noch«, fuhr Eutimia fort, »sie posaunt das auch noch in der Öffentlichkeit heraus. Ich habe gehört, dass sie das sogar ohne weitere Umschweife in Zeitungen schreibt und sich damit auch noch brüstet!«
    »Aber wir beten doch jeden Nachmittag den Rosenkranz«, wandte jemand ein.
    »Schon, aber das sind nicht die Gebete, die uns unsere Heilige Mutter Kirche aufträgt. Ist euch denn nie aufgefallen, dass die Rosenkranzgeheimnisse niemals gesprochen werden? Das sind alles Ketzergebete! Ich fürchte, wenn wir so weitermachen, landen wir direkt in der Hölle! Deshalb versuche ich mich zu

Weitere Kostenlose Bücher