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Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Die Geister schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Care Santos
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beinahe auf der Stelle in Tränen ausgebrochen. Es kam nur nicht dazu, weil just in dem Moment Concha mit dem klirrenden silbernen Teewagen über den Flur zog.
    »Ah, der Imbiss«, seufzte die Señora erleichtert.
    Auf dem spiegelnden Silbertablett prangten drei Porzellantassen. Sie sahen aus wie Tassen für Consommé, doch darin befand sich eine weiße Flüssigkeit, die mit einem dunklen Pulver bestäubt war. Sie verströmte einen süßen, köstlichen Duft. Die Damen sogen den Duft auf, ohne Fragen zu stellen. Bis dahin zumindest.
    »Ich liebe Zimt«, verriet Tatín euphorisch, sobald Concha ihr ihre Tasse und ihren Löffel reichte.
    »Unsere Köchin erfindet immer wieder originelle Gerichte«, beteuerte Maria del Roser.
    Ihre Überraschung war noch größer, als sie in der Flüssigkeit Reis entdeckten.
    »Man bekommt direkt Lust, Brot hinein zu tunken«, meinte Tatín.
    »Vielleicht sollte man es dann lieber heiß servieren«, erwiderte die Lax-Witwe darauf.
    Nur Teresa meldete sich nicht zu Wort, aber weder ihre Verschlossenheit noch ihre Traurigkeit und nicht einmal ihre Liebe hinderten sie daran, ihre Portion weit über das Maß, das die gute Erziehung vorgibt, zu leeren.
    »Mein Gott, Tessita, lass noch etwas fürs Personal übrig«, tadelte sie die große Schwester herzlich. Das Mädchen wurde rot. Die entspannte Atmosphäre trieb Tatín an, ihr Anliegen weiter zu verfolgen: »Señora, lassen Sie uns doch bitte auf unser Thema zurückkommen. Sehen Sie irgendeine Möglichkeit, Don Amadeo für einige Stunden von seinen Verpflichtungen mit der Kunst abzulenken? Unsere gesamte Familie wäre durch seine werte Anwesenheit sehr geehrt. Sie müssen verstehen, wir bewundern ihn, seit wir ihm auf Wunsch unserer Tante Matilde Modell gestanden haben.«
    »Möge sie im Himmel ruhen«, flüsterte Maria del Roser.
    »Ja, ja, und dort viele Jahre auf uns warten!«, ergänzte Tatín ganz beiläufig, als ob ihr diese Worte aus Versehen herausgerutscht wären. Dann fuhr sie fort: »Señora, ich versichere Ihnen, es wird ein schönes Fest sein. Wir haben ein Orchester aus Sabadell engagiert, das Fantasien von Wagner spielen wird, die gar nicht so laut sind.« Bei diesen Worten wies sie zum Grammophon. »Ich sehe schon, wir haben den gleichen Geschmack. Ich verspreche Ihnen, wir werden alles unternehmen, damit Sie beide sich bei uns wie zu Hause fühlen.«
    Maria del Roser sah sich daraufhin verpflichtet, ihrer Besucherin zumindest einen Hoffnungsschimmer zu geben.
    »Schon gut, ich werde alles tun, was in meiner Macht steht. Aber ich kann Ihnen nicht versprechen, dass …«
    »Aber selbstverständlich nicht!« Tatín schüttelte den Kopf. »Ich möchte Sie keineswegs zu irgendetwas verpflichten! Mit dieser Bitte habe ich bereits mehr als genug gewagt!«
    Als Concha die Tassen wieder auf den Teewagen stellte, war ihre Señora von der Gewissheit und der Beruhigung erfüllt, dass der Imbiss ein voller Erfolg war.
    »Hat das Rezept einen Namen, Señora Lax?«
    »Vicenta nennt das Milchreis«, antwortete Concha.
    »Wie originell! Milchreis! Wie ist sie nur auf diese Idee gekommen?«
    Maria del Roser war vor Stolz gewachsen und von diesen Worten mitgerissen, die so ruhmreich klangen. Selbst das geistesabwesende Mädchen zeigte nach diesem wundersamen Gebräu eine bessere Gesichtsfarbe.
    Wie gesagt, in dem Augenblick trifft Amadeo ein, und zwar zu einer Uhrzeit, zu der noch niemand mit ihm rechnete und die noch vor einem Jahr undenkbar gewesen wäre. Aber mit dem Alter, oder vielleicht aufgrund seines Erfolges, ist er häuslicher geworden.
    Einfach weiterzugehen wäre sehr unhöflich gewesen. Normalerweise lässt er, wenn er seine Mutter auf seinem Weg durch das Haus nicht antrifft, seine Ankunft durch irgendein Hausmädchen vermelden, um sich sofort in sein Atelier in der Mansarde zurückzuziehen. Aber heute ist Donnerstag, der Besuchertag, und zwei Damen unterhalten sich mit seiner Mutter im großen Salon. Er weicht von seinem üblichen Weg ab, um sie zu begrüßen. Es sind ja nur wenige Meter und nur einige Minuten. Das denkt er zumindest. Aber da ist Teresa. So schön wie eine unheilvolle Erscheinung. Tragisch wie eine Opernheldin. Sie steht kurz vor ihrem achtzehnten Geburtstag. Sie ist modisch gekleidet, mit einem Rock, der ihr halb bis zur Wade reicht, und einem helmförmigen Hut, der von einer Blume verziert wird. Die Locken ihrer blonden langen Haare lösen sich aus dem Haarknoten, zu dem sie im Nacken zusammengefasst sind,

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