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Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Die Geister schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Care Santos
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zärtliche Geste, trotz der steifen Situation. Teresa erwidert die zärtliche Geste, auch mit ihrer rechten Hand, und man erkennt gut die Eheringe an ihren Ringfingern. Teresas linke Hand ruht auf ihrem Schoß, einem Hauch von Tüll, der bis auf den Boden reicht. Ihr Kleid hat lange Ärmel und einen züchtigen Ausschnitt. Sie trägt auch einen Tüllhut, den ein Spitzenschleier umgibt – alles ganz im Stil der 20er Jahre. Sie neigt sich ein wenig nach vorn, als erwartete sie sehnsüchtig das Ende der Sitzung beim Fotografen, um endlich mit der Feier beginnen zu können, und lächelt mit einer naiven Offenheit. Sie wirkt jünger als ihre einundzwanzig Jahre. Sie ist wirklich wunderschön.
Der Gesichtsausdruck von Großvater hingegen zeigt eine zufriedene Gelassenheit. Schließlich hat er sich gut verheiratet, mit einer wunderschönen, jungen Frau aus guter Familie. Alle haben diese Ehe gebilligt, sogar er selbst. Seine Mundwinkel unterdrücken ein Lächeln. Vielleicht hat es ihn belustigt, die Anstrengungen seiner jungen Gattin zu beobachten, der der Fotograf womöglich ihren Mangel an Ernst oder ihren Schwung vorgeworfen hat. Er ist eine distinguierte Erscheinung, in seinem dunklen Cut mit Weste, goldener Taschenuhr, Seidenschal und Zylinder. An seiner Ausstattung fehlt auch wirkliches keines der Accessoires, die ihn als Vertreter seiner privilegierten Schicht kennzeichnen, wie auch die Handschuhe aus russischem Leder, die er in seiner linken Hand hält. Er ist ein immer noch jung wirkender, stattlicher Mann. Bestimmt hat man Teresa sehr um diesen Ehemann beneidet. Aber das Beste an seiner Erscheinung ist sein Blick, der fest auf das Objektiv gerichtet ist und unverwechselbar vor Glück schimmert.
Das zweite Foto hat mir Papa vor einigen Jahren geschickt, und soviel ich weiß, gibt es davon keine weiteren Abzüge. Es ist also niemals veröffentlicht worden. Vielleicht konnten wir beide uns deshalb nicht mehr sofort daran erinnern. Es ist fünf Jahre später in demselben Fotostudio aufgenommen. Großvater ist darauf mit der ihm üblichen Eleganz gekleidet. Da sich die Männermode eher langsam entwickelt, könnte man fast meinen, er habe in all der Zeit seine Kleidung nicht gewechselt. Auf der Weste sticht wieder die Taschenuhr hervor. Der Zylinder liegt auf dem kleinen Tisch neben ihm. Aber seine Lippen sind zu einer unfreundlichen Grimasse verzogen. Er hat, seitdem er das letzte Mal an dieser Stelle Modell stand, etwas zugenommen. Es wirkt so, als habe er nicht das Bedürfnis, irgendjemandem zu gefallen. Nicht einmal den Menschen, die mit ihm posieren.
Vor ihm sitzt Teresa auf einem Stuhl. Sie ist überaus elegant gekleidet: knöchellanger Rock, bestickte Bluse, hohe Absätze. Ihr Haar trägt sie zu einem lockeren Knoten zusammengefasst. Das ist nicht mehr die verrückte, ungeduldige junge Frau von dem Hochzeitsfoto. Sie ist sechsundzwanzig Jahre alt – wir befinden uns im Jahr 1933 –, aber sie sieht wie eine Vierzigjährige aus. Sie ist schmal, hat Ringe unter den Augen und wirkt ausgezehrt. Vielleicht hat sie sich noch nicht von der Geburt erholt. In ihren Armen hält sie ein nur wenige Wochen altes Baby – Papa in seinem Taufkleid –, und lächelt ihm liebevoll zu. Nur dieses Lächeln erinnert an die Frau auf dem anderen Foto. Das Glück ist diesmal nicht für die Nachwelt erhalten.
Von allen Porträts von Teresa, die ich kenne, ist dies das grausamste. Papa als kleines Baby. Großvater in seiner Rolle als ehrenwerter Vater. Und sie, diese große Unbekannte.
Es ist schon merkwürdig. Jahrelang habe ich verhindert, dass das Foto in irgendeiner Biographie über Großvater veröffentlicht wurde. Und zwar aus Respekt an sein Gedenken, an seinen alten Schmerz, aber auch wegen Papa, der gar nicht über seine Mutter sprechen muss, um zu zeigen, wie sehr er darunter leidet, ohne sie aufgewachsen zu sein, wie sehr er ihr immer vorgeworfen hat, ihn verlassen zu haben.
Die Geschichte der Malerei, der Kunst und der Literatur ist voller unerträglicher Persönlichkeiten, die vor Talent strotzen. Das sind Wesen, die Nachschlagewerke schmücken, aber die für die Menschen, die das Pech hatten, mit ihnen zusammenzuleben, eine echte Plage waren. Vielleicht ist Großvater eine von diesen Persönlichkeiten gewesen, aber mit so viel zeitlicher Distanz kann man diesen überheblichen Gesichtsausdruck kaum richtig deuten. Die Nachwelt verlängert die Schatten und verwischt die Profile. Ansonsten hätten wir nachfolgenden

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