Die Geister von Rosehill: Roman (German Edition)
sind zum Tee nach Hause gegangen, und sobald ich mit dieser Kartenskizze hier fertig bin, werde ich auch eine Pause machen.«
»Mir geht’s gut«, wiederholte ich dickköpfig.
Meine Hände hatten inzwischen aufgehört zu zittern, aber ich hielt sie trotzdem tief in den Taschen der Windjacke vergraben, die David für mich geholt hatte. Er hatte darauf bestanden, als er zurückgekommen war und mich zitternd – vor Kälte, wie er annahm – vorgefunden hatte. Der Nachmittag war zwar nicht besonders kalt, aber sobald die Sonne hinter den schnell dahinziehenden Wolken verschwand, war ich doch dankbar für die Jacke. Der leichte Wind hatte merklich aufgefrischt.
Den Wind machte ich auch verantwortlich für das, was ich gehört oder zu hören geglaubt hatte, denn Wind konnte manchmal wie menschliche Laute und Geräusche klingen. Er hatte mich als Kind oft genug erschreckt, weil er das Haustor in den Angeln knarren ließ oder mit den Zweigen des Walnußbaums über das Dach fegte, bis ich felsenfest davon überzeugt war, daß eine Diebesbande die alte Hintertreppe zu meinem Zimmer hinaufgeschlichen kam. Ich hatte mir die Decke über die Ohren gezogen und stocksteif im Dunkeln dagelegen, sogar zu verängstigt, um nach meiner Mutter zu rufen.
Meine Mutter wäre mir auch in diesem Moment sehr willkommen gewesen. Sie war eine große, kräftige, pragmatische Frau mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete. »Es gibt keine Geister«, hätte sie zweifellos zu mir gesagt, und ich hätte ihr selbstverständlich geglaubt.
Aber jetzt gerade, umgeben von Fremden in einer wilden Landschaft und mit den Überresten einer längst untergegangenen Zivilisation zu meinen Füßen, schien die Existenz von Geistern nicht mehr völlig ausgeschlossen.
Unter mir im Graben hockte David sich auf die Fersen und stieß seinen Spaten in das feuchte Erdreich, um sich einen Moment auszuruhen. »Ist Ihnen jetzt wärmer?« fragte er mich.
Er hat schöne Augen, dachte ich verträumt. Es war eigentlich unfair, daß die Natur Männer mit so langen Wimpern ausstattete. Seine waren schwarz wie seine Haare und ließen seine Augen im Kontrast noch blauer wirken.
»Viel wärmer, danke.«
Adrian warf mir von neuem einen kritischen Blick zu. »Du hast doch keine Kopfschmerzen, oder?«
Ich seufzte. »Nein, es geht mir gut. Wirklich.«
»Aber du hast diese kleine Falte, genau hier.« Er zeigte mit dem Zeigefinger zwischen seine Augenbrauen. »Und das bedeutet gewöhnlich, daß du Kopfschmerzen hast.«
Quinnell hob am anderen Ende des Grabens fragend den Kopf. »Wer hat Kopfschmerzen?«
»Verity«, antwortete Adrian.
David mochte nicht zurückstehen und erklärte Quinnell, daß mir nur ein wenig kalt geworden sei, und ich wollte ihnen allen gerade noch einmal mit Nachdruck versichern, daß es mir gutgehe , als die Sonne plötzlich hinter einer dunklen Wolkenwand verschwand.
Quinnell legte den Kopf nach hinten und schnupperte die Luft.
»Regen«, verkündete er betrübt.
»Stimmt.« David stand auf. »Ich bin hier sowieso fertig für heute. Es ist jetzt alles auf einer Ebene.« Er sah mich an. »Das sind die letzten«, sagte er und deutete auf die drei vollen Eimer auf der Seite des Grabens. »Ich trage sie noch hinauf zu den Principia, damit sie nicht naß werden. Sie sollen ja keinen Matsch sieben.«
Ich lächelte über seine selbstverständliche Verwendung des lateinischen Ausdrucks. »Die Principia? Was meinen Sie? Die Stallungen?«
»Ja.« Er lächelte zurück. »Das Nervenzentrum. Quinnell hat es so genannt, und der Name ist hängengeblieben.«
Sehr passend, dachte ich. Jedes römische Fort hatte seine principia – die Gebäude des Hauptquartiers in der Mitte der Anlage, wo sich die Legionäre versammelten, um die Tagesorder zu empfangen.
Unser »Kommandant«, Peter Quinnell, kletterte jetzt widerstrebend aus dem Graben und sah zu, wie David die schweren Eimer aufnahm. »Bringst du die hinauf? Guter Junge. Zeit für einen Drink, würde ich sagen. Wir können hier sowieso nicht mehr viel tun, bis der Regen vorüber ist. Wir sehen dich dann oben im Haus.« Er legte väterlich eine Hand auf meine Schulter, um mit mir zusammen den Hügel hinaufzugehen. »Und ich bin sicher, Jeannie wird ein paar Aspirin für Sie auftreiben können. Irgendwo muß noch ein Päckchen herumliegen.«
Es schien zwecklos zu protestieren, aber nach all dem Gerede über meinen Gesundheitszustand war es eine Erholung, in der ruhigen Küche auf Rosehill zu sitzen und
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