Die Geister von Rosehill: Roman (German Edition)
»schwer in Ordnung«.
Doch weder von Robbie noch von Kip war im Moment etwas zu sehen. Wahrscheinlich machten die beiden gerade einen kleinen Vormittagsspaziergang mit Wally, vermutete ich.
Und Brian war wieder mit seinem Boot zum Fischen draußen, so daß Jeannie und ich allein waren.
»Nimm noch ein Plätzchen«, forderte sie mich auf und schob den Teller näher zu mir heran.
Das tat ich. »Ich bin froh, daß du da bist. Ich wäre sonst heute morgen verrückt geworden, ohne jemanden zum Reden.«
»Wieso, ist Fabia denn nicht zu Hause?« neckte sie mich.
»Ha, sehr witzig. Und nein, wo du schon fragst – Fabia ist nicht zu Hause. Sie ist nach dem Frühstück mit ihrem Range Rover davongebraust. Schien ziemlich gut gelaunt zu sein, muß ich sagen. Ich glaube nicht, daß sie eine Vorstellung davon hat, wie enttäuschend das alles für Peter ist.«
Jeannie zuckte die Achseln. »Nein, das sieht ihr ähnlich. Fabia findet es zuviel verlangt, Rücksicht auf die Gefühle anderer zu nehmen.« Sie sagte die Worte leicht dahin, aber die Schärfe darin entging mir nicht, und ich fragte mich, ob Fabia wirklich versucht hatte, mit Jeannies Mann anzubändeln.
Trotzdem, dachte ich, war es Fabia gegenüber nicht ganz fair zu behaupten, Peters Gefühle seien ihr gleichgültig. Schließlich hatte sie den Plan mit der gefälschten Radaruntersuchung – sosehr man ihn auch verurteilen mußte – nur zusammen mit Adrian ausgeheckt, um Peter eine Freude zu machen. Und wie jeder Mensch hatte sicher auch Fabia ihre guten Seiten.
Noch ehe ich diese Ansicht äußern konnte, wurde die friedliche Stille in der Küche durch die lärmende Rückkehr von Robbie und Kip gestört. Der Collie, schmutzbespritzt von einem ausgiebigen Spaziergang, begrüßte mich überschwenglich, während Robbie schnell die Hand nach dem letzten Plätzchen ausstreckte.
»Nicht, bevor du dir die Hände gewaschen hast«, befahl Jeannie mit energischem Kopfschütteln. »Sie sind bestimmt voller Keime, weil du immer alles anfaßt.«
Ich unterdrückte ein Lächeln, als ich zusah, wie er widerwillig zum Waschbecken schlurfte und den gleichen Enthusiasmus für Wasser und Seife an den Tag legte wie ich in seinem Alter. Ich wußte zwar nicht genau, wie alt er war, aber …
»Fast acht dreiviertel«, sagte er und drehte sich zu mir um, als hätte ich meine Gedanken laut ausgesprochen. »Im September werde ich neun.«
Ich seufzte. » Mußt du das tun?«
»Was tun?«
»Meine Fragen beantworten, bevor ich sie gestellt habe. Irgendwie fühle ich mich dadurch im Nachteil.«
Jeannie lächelte. »Ja, wir sind alle ein wenig im Nachteil bei diesem Bürschchen hier. Alle außer seinem Dad«, verbesserte sie sich. »Brians Gedanken kann er nicht so gut lesen, stimmt’s?« fragte sie ihren Sohn, der nur den Kopf schüttelte.
»Dad ist schwer zu fassen.«
»Ja, das ist er«, stimmte Jeannie zu, wobei ihr Lächeln noch breiter wurde. »Och, beinahe hätte ich es vergessen, was war das doch gleich für ein Wort, nach dem du Miss Grey fragen wolltest? Das lateinische?«
»Solway«, lautete die gedämpfte Antwort, die aus einem Mund voller Plätzchenkrümel kam. »Ich habe es in Mister Quinnells Wörterbuch nachgesehen, aber ich konnte es nicht finden.«
Jeannie zog die Stirn in Falten. »Solway?«
Die dunklen Locken hüpften bestätigend. »Ja, das hat er gesagt. Zuerst dachte ich, er meint den Meeresarm, aber Granny Nan sagt, der hätte damals anders geheißen, und außerdem könnte er kein Englisch.«
Völlig verwirrt schüttelte ich den Kopf. »Wer kann kein Englisch?«
»Der Wächter.«
Ich setzte meine Teetasse klappernd auf dem Unterteller ab. »Der Wächter spricht ?«
»Ja. Granny Nan sagt, er spricht bestimmt Latein, aber ich kann kein Latein.«
»Er spricht«, wiederholte ich für mich selbst, überrascht, daß mich überhaupt noch etwas überraschen konnte. Rosehill hatte mich dazu gebracht, meine natürliche Skepsis zumindest vorübergehend aufzugeben. Es gab keine Pferde auf der Wiese hinter dem Haus, und doch hörte ich sie jede Nacht dort galoppieren. Es gab keine Geister, aber einer war direkt an mir vorbeigegangen. Und es gab keine Hellseher oder Geisterseher, aber ich wußte auf einmal ganz sicher, daß Robbie die Wahrheit sagte.
Ich räusperte mich. »Spricht der Wächter oft mit dir?«
Robbie hob eine magere Schulter zu einem lässigen Zucken. »Er sagt nur ›solway‹. Dann weiß ich nicht, was ich darauf sagen soll, also geht er wieder
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