Die Geister von Rosehill: Roman (German Edition)
meine Schulter. »Gut, komm jetzt.«
Das Stampfen des unsichtbaren Motors war hier am unteren Hafenrand lauter. »Das Kühlhaus«, kommentierte David, als wir dem Geräusch den Rücken kehrten und den langen Mittelpier betraten.
Ich mußte zugeben, daß die Bezeichnung »Mittelpier« entgegen meiner vorherigen Skepsis ganz und gar gerechtfertigt war. Es war tatsächlich ein richtiger Pier, der an beiden Seiten von Wasser umgeben war. Links von uns lag der Hafen mit seinen wenigen Booten, während auf der rechten Seite ein schlammiger Kanal nach Davids Auskunft denselben Fluß führte, an dessen Ufer ich von Rosehill aus entlangspaziert war. Ich wollte ihm zuerst nicht glauben, weil das Wasser hier ganz anders aussah und viel träger und gesetzter dahinfloß.
»Ich würde dir doch keine Lügen erzählen«, sagte David. »Das ist die Eye. Die Stadt hat ihren Namen von diesem kleinen Rinnsal. Unser Hafen wurde um die Mündung der Eye herum gebaut. Paß auf die Netze auf«, fügte er hinzu, als wir auf der Höhe von Brians Boot angelangt waren.
Ich mußte lächeln. »Du klingst wie meine Mutter.« Trotzdem achtete ich darauf, die grüne und orangefarbene Masse aus Netzen, die wie ein großes, schlafendes Ungeheuer am Rand des Piers ausgebreitet lag, zu umgehen.
Auf den ersten Blick schien niemand an Bord der Fleetwing zu sein, aber auf Davids Rufen hin tauchte ein kleiner, drahtiger Mann im gelben Fischeroverall an Deck auf und hob eine Hand zum Gruß.
»Hey, Deid-Banes.« Er beugte sich über die Achterreling und sah zu uns herauf. »Hab von deiner Mutter gehört«, sagte er mit starkem schottischen Akzent. »Verdammtes Pech. Ist sie noch in Berwick?«
»Ja. Und glaub ja nicht, daß du das Cottage ausrauben kannst, während sie im Krankenhaus liegt.«
Der andere Mann lachte. »Du hast kein Vertrauen in die Menschheit, Junge. Ich hab gar nicht solche Teerfinger, wie du glaubst. Und ich würde nie deine Mutter beklauen.«
»Du würdest sogar deine eigene beklauen.«
»Stimmt, aber deine Mutter mag ich lieber. Wolltet ihr was Bestimmtes von mir?«
»Wir suchen Brian. Ist er da?«
»Nee.« Immer noch in sich hineinlachend zündete sich der Mann im Overall eine Zigarette an und schüttelte den Kopf. »Er ist weg, unser Käpt’n.«
»Und hat dir das Boot überlassen, ja? Vertrauensseliger Mann.«
»Ja, nun, Mick kann er ja schlecht trauen, also bleibe nur ich.«
David legte fragend den Kopf schräg. »Kenne ich Mick?«
»Der neue Junge aus Liverpool. Den willst du bestimmt nicht kennenlernen, Deid-Banes. Ist ein unangenehmer Kerl.«
»Wirklich, Billy, daß ausgerechnet du das sagst …«
»Ich meine es todernst.« Der ältere Mann zog heftig an seiner Zigarette, und der Wind trieb ihm den Rauch in die blinzelnden Augen. »Der Junge hat sein halbes Leben im Knast verbracht, und nicht nur wegen Diebstahls. Ich würde dem verdammten Bastard nicht den Rücken zukehren.« Dann erinnerte er sich plötzlich an meine Gegenwart und warf mir ein schiefes Lächeln zu. »’tschuldige, Mädchen. Ich hab meine Manieren ganz vergessen.«
David verschränkte die Arme und sah ihn auffordernd an. »Na, wenn du jetzt schon den Kavalier rauskehrst, könntest du dem Mädchen auch eine kleine Führung durch die Fleetwing anbieten und ihr zeigen, wie es auf einem Fischkutter zugeht.«
Der andere zuckte bedauernd die Achseln, die Zigarette zwischen die Zähne geklemmt. »Kann ich heute leider nicht, Deid-Banes. Ich bin gerade am Streichen, und die Farbe ist noch nicht trocken.«
Ich konnte weder Farbeimer an Deck sehen noch den leisesten Farbgeruch wahrnehmen, aber David insistierte nicht weiter. Er gestattete sich lediglich ein kleines Lächeln, als wir uns verabschiedet hatten und weiter den Pier entlanggingen. »Ich wußte genau, daß er nein sagen würde«, gestand er, »aber ich wollte hören, was er sich für eine Ausrede einfallen lassen würde. Er ist ein brillanter Lügner, unser Billy.«
Ich sah neugierig zu ihm auf. »Was bedeutet Deid-Banes eigentlich? Ich meine, ich weiß, daß Wally Sie … dich manchmal so nennt, aber …«
»Das ist mein Beiname«, antwortete er. »Eine Art Gemeinde-Spitzname. Viele von den Leuten hier in Eyemouth haben einen Beinamen.«
»Warum?«
»Na ja, sie dienen unter anderem dazu, uns auseinanderzuhalten. Wenn mehr als ein David Fortune in einer kleinen Stadt herumläuft, wird die Sache ein bißchen verwirrend.«
Ich war verblüfft. »Gibt es denn mehr als einen David Fortune
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