Die Geisterseherin (German Edition)
ehemaligen Opernstars Oyuki Sugisaki, die ganze Zeit neben ihm gesessen hatte.
Denn auch sie wartete auf die Rückkehr ihrer Tochter...
„Verdammter Mist, bleib endlich stehen!“
Mikoto schrie mit all ihrer Kraft und beschleunigte ihren Schritt weiter. Ihr Herz pochte so stark, dass es sich anfühlte, als würde es gleich platzen und ihre Beine waren so schwer, wie Blei. Auch Steve erging es ähnlich. Der Junge, der nur einen Schritt vor ihr war, schwitzte aus allen Poren, sein Atem ging heftig und seine Schritte waren schon lange nicht mehr so ausholend, wie am Anfang dieser Hetzjagd.
„Verdammte Herrin der Zeit!“, stieß sie hervor und verwünschte damit Q'nqüra.
Es ist ein einfacher Fall, hatte sie zu ihr gesagt, ohne eine Miene zu verziehen. Ein Geist, der nicht begriffen hatte, dass er tot war und verwirrt durch die Stadt zog. Nichts Besonderes. Steve und sie sollten ihn nur ausfindig machen, ihm die Situation erklären und dann auf die andere Seite schicken. Das ganze, so Q'nqüra, wäre sicherlich innerhalb von einer Stunde erledigt. Eigentlich hätte das Mikoto auch alleine gekonnt, aber nach dem Debakel mit Iori war ihr die Unterstützung ganz recht gewesen.
Nur eine Sache hatte diese verdammte Herrin der Zeit wohl absichtlich verschwiegen!
Der Geist vor ihr rannte in einem fast unmenschlichen Tempo und er schien keinerlei Ermüdungserscheinungen aufzuweisen – und das obwohl sie jetzt sicherlich schon gut einen Kilometer in diesem Tempo gerannt waren!
Naja, er war ja auch tot – Erschöpfung gab es für ihn wohl nicht. „Mikoto, nach links!“, schrie Steve ihr zu und fiel plötzlich einen Schritt hinter sie zurück, bog nach rechts in eine kleine Seitengasse ein und war Sekunden später außer Sicht. Mikoto's Körper reagierte auf Steves Befehl, wie auf einen Reflex und sie sprang nach links, direkt in einen kleinen Durchgang zwischen zwei Häusern hinein. Ja, wenn Q'nqüra vergessen hatte, etwas zu erwähnen, dann war es die Tatsache, dass der Tote ein preisgekrönter Olympiasieger war – und das in sämtlichen Lauf-Disziplinen!
Mikoto stolperte über einen halbvollen Müllsack und plötzlich war der Boden näher, als ihr lieb war. Schützend riss sie die Hände in die Höhe, dann drehte sich die Welt um sie.
Ein dumpfer Schlag, als sie auf den Asphalt stürzte, ein stechender Schmerz im Knie, als sie die Hauswand traf. Irgendwie bekam sie aber wieder Boden unter die Füße. Sie stolperte dennoch ein paar weitere Schritte, verlor Geschwindigkeit und beinahe wieder ihre Balance und knallte schließlich mit großer Wucht gegen eine Hauswand.
Für ein paar Sekunden torkelte sie benommen weiter.
In dem Moment verlor sie alle Lust an der verdammten Hetzjagd – und noch mehr an dem Vorwand, den sie erst vor ein paar Stunden getroffen hatte.
„Hey, Steve. Kann ich dich kurz mal sprechen?“
Sie hatte Steve in der großen Pause abgefangen. Seit ihrem ungewollt gemeinsamen Ausflug ans Meer vor einer Woche und ihrer überragenden Teamarbeit bei der Rettung von Sayuri hatten sie mehr Zeit miteinander verbracht.
Das hieß nicht, dass Mikoto den „Wunderjungen“ aus Deutschland nun leiden konnte – sie sah ihn jetzt nur als einen möglichen Kollegen an. Jemanden, mit dem man gut arbeiten, aber trotzdem nicht leiden konnte. Außerdem arbeitete er schließlich für die Herrin der Zeit, Q'nqüra, und war ebenfalls ein Geisterseher. Da er ersteres schon viel länger als sie tat, war es also gut möglich, dass Mikoto etwas von ihm lernen konnte... wenn sie nur seine Hülle zu knacken vermochte. Daran arbeitete sie, neben den ganzen hundert anderen Problemen, die momentan auf sie einstürmten, doch bislang hatte Steve meist nur schnippisch oder abweisend reagiert. Schließlich dämmerte es Mikoto, dass es wohl daran lag, dass Mikoto unabhängig von der Herrin der Zeit agierte und trotzdem bei ihr viel Ansehen genoss. Steve schien das ein Dorn im Auge zu sein und eigentlich hatte er damit auch Recht. Er war eindeutig der bessere Kämpfer... glaubte sie. Wirklich gegeneinander gekämpft hatten sie ja noch nie.
Aber er war nun einmal ein Wunderkind, hatte einen Gurt im Kendo, von denen selbst Leute träumten, die 10 Jahre älter waren als er. Und da Vater sie eh dazu nötigte, „zu der Psychiaterin“ zu gehen, damit sie „keine Geister mehr sah“, konnte sie das ja auch miteinander verbinden.
„Ich werde für Q'nqüra arbeiten... wir sind jetzt also Kollegen.“ Sie hatte ihm die Hand entgegen gestreckt,
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