Die Geisterseherin (German Edition)
zurückgeben kann, Herr Sugisaki. Sie haben auch bereits große, dunkle Ringe unter den Augen.“ Herr Sugisaki, Mikoto's Vater, lächelte müde.
„Die Arbeit ist nicht weniger geworden, Herr Kinoshita. Schlafen kann ich, wenn ich tot bin.“
Der ehemalige Polizist sengte den Kopf und murmelte etwas davon, dass schon bald sie alle es sein würden.
„Aber was kann ich für Sie tun, Herr Sugisaki?“, fragte er anschließend laut.
„Ein Kollege von mir hat sie letztens in dem Café hier um die Ecke gesehen... mit diversen Akten. Er hat dabei auch ein Bild meiner Tochter erkannt...“
Kinoshita konnte sich an den aufdringlichen Kollegen, der immer wieder neugierig zu ihm herüber geblickt hatte, nur zu gut erinnern. Als Polizist hätte er ihn sofort verhört...
„Und...? Darf ein alter Mann nicht seinem letzten „Hobby“ nachgehen...?“, murrte er.
„Sehen Sie... niemand möchte Mikoto mehr finden, als ich. Aber schauen Sie sich die Welt an, Herr Kinoshita. Wir stehen vor dem Abgrund und haben zu wenig Zeit um auch nur einen einzigen Tag zu verlieren. Hängen Sie sich nicht an alten Dingen auf... Mikoto wird inzwischen tot sein, so sehr ich auch wünschte, sie wieder in meinen Armen halten zu können. Aber selbst, wenn sie damals tatsächlich nicht umgebracht wurde, dann hat sie höchstwahrscheinlich inzwischen der Virus dahin gerafft. Wie dem auch sei... sie wäre eh nicht mehr das Mädchen von damals... und glauben Sie mir, würde sie noch leben, dann hätte sie sich bei mir in all den Jahren sicherlich gemeldet, Herr Kinoshita.“
Yujiro senkte den Kopf leicht.
„Sie müssen von diesem Fall loslassen, so wie wir alle. Mikoto ist fort und so sehr ich mir, als ihr Vater, es auch wünsche, sie noch wenigstens ein einziges Mal in meinen Armen zu halten, so müssen wir uns dennoch der Realität stellen. Die Polizei hat unter ihrer Führung lange gesucht, ihr habt ja sogar diesen einen Jungen verhaftet. Vermutlich hat er sie tatsächlich irgendwo verscharrt, aber wir werden das wohl nie herausfinden. Darum... tun Sie sich selbst den Gefallen und versuchen Sie Ihre letzten Tage noch ein wenig... fröhlicher zu gestalten. Die Welt ist auch so schon ein zu trauriger Platz.“
„Es tut mir weh, zu sehen, dass selbst ihr Vater sie aufgegeben hat, Herr Sugisaki.“
Yujiro lachte leicht und startete den Motor erneut.
„Ich habe sie nicht aufgegeben, Herr Kinoshita und ich bin der erste, der sie mit offenen Armen willkommen heißt, sollte sie tatsächlich irgendwann lebend zurück kehren. Ich habe Fehler gemacht, große Fehler... und ich würde sie natürlich gerne wieder gut machen. Wenn es jemals dazu kommt, dann bin ich der letzte, der sich dagegen wehrt... aber ich bin Forscher und Realist. In unseren Zeiten ist dies bloß ein schöner Traum, ein Wunschgedanke mit einer verdammt niedrigen Aussichtschance.“
„Es tut mir leid, Herr Sugisaki...“
Kinoshita packte seine Tasche und ballte mit der anderen Hand die Faust.
„Nennen sie mich einen alten Narren, aber ich werde weiterhin an diesen Funken Hoffnung glauben.“
„Tun Sie das, Herr Kinoshita... tun sie das für uns alle. Hoffnung ist das, was wir wohl am meisten brauchen... nur vergessen sie vor lauter Hoffnung nicht selbst zu leben.“
Er kurbelte das Fenster hoch und das Auto, eines der wenigen, dass noch in der Stadt zu sehen war, brauste davon.
Kinoshita seufzte. Er hatte Mikoto's Vater seit Monaten nicht mehr gesehen und war nicht so wirklich auf dieses Treffen vorbereitet gewesen. Es kam unerwartet, ja... aber nur zum Teil. Nachdem ein Kollege von Yujiro ihn und seine Akten in diesem Café gesehen hatte, war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis er vor seiner Tür stand. Yujiro war damals nur Traumforscher gewesen und Kinoshita erinnerte sich noch ganz genau an den Tag, als er leichenblass und mit roten Augen bei ihm auf der Wache gestanden hatte... nur kurz nachdem Mikoto verschwunden war. Inzwischen hatte sich der Mann stark gewandelt, auch wenn Kinoshita in seinen Augen noch immer jenen traurigen Vater sah, der damals bei ihm auf der Wache gestanden hatte. Aber die Zeit hatte ihre Opfer verlangt. Yujiro war nicht nur alt geworden, der Verlust von Frau und später Tochter hatte ihn sich auch Hals über Kopf in die Arbeit stürzen lassen. Ohne sie wäre er wohl zugrunde gegangen... und dank ihr war er nun einer von Japans Topforschern, die noch an einem Heilmittel gegen das Virus, dass die Menschen inzwischen gerne als Ragnarök-Virus bezeichneten,
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