Die Geisterseherin (German Edition)
Häftling.
„Häftling...“
Als er die Tasche fast fertig gepackt hatte, stockte er. Sein Blick wanderte zum Fenster hin, starrte auf die Straße, in der inzwischen die einzelnen Lampen der Straßenlaternen angegangen waren. Es gab ein kleines Problem. Mikoto's Idee sich an Steve Steiner zu wenden war, für sich gesehen, eigentlich ganz gut. Dieser Junge arbeitete, so weit er das herausbekommen hatte, für eine lange Zeit mit oder gar für diese Q'nqüra. Er vermutete, dass es sich bei Steve ebenfalls um einen Geisterseher handelte, auch wenn er ihn dies persönlich nie hatte fragen können. Bei Verhören waren ja noch stets andere Beamte anwesend gewesen...
Das größte Problem war, dass Steve in Osaka im Gefängnis saß... und er in Ichihara war. Und das war nicht unbedingt ein Katzensprung. Mit der momentanen Anbindung der Züge würde er sicherlich Tage brauchen, um bis dorthin zu kommen und er wusste nicht, ob er wirklich so viel Zeit hatte.
Jeder Tag konnte sein oder Steves letzter Tag sein. Sofern er überhaupt noch lebte!
„Es gibt wohl nur eine Möglichkeit...“, murmelte er leise und schüttelte dann den Kopf. Die einzige Option, die er hatte war, zur Polizei zu gehen und seine ehemaligen Kollegen zu bitten, ihm eines der Einsatzfahrzeuge auszuleihen. Quasi als... freundschaftliches Zeichen alter Tage. Ein Auto zu bekommen war dabei eigentlich nicht einmal schwer. In vielen Straßen standen noch, inzwischen oft schon verrostete und vergammelte, Wagen. Das größere Problem war Benzin und ohne das kam er nicht weit. Einsatzfahrzeuge hatten bei den seltenen Lieferungen der letzten Jahre stets Vorrang. Selbst die reichste Person Japans bekam das Benzin erst, nachdem die Einsatzfahrzeuge von Feuerwehr, Krankenhäusern und Polizei versorgt waren. Daher war die Polizei, sein alter Freund und Helfer, wohl die beste Wahl.
Das Problem war nur, dass er dort nicht unbedingt willkommen war. Er verzog das Gesicht und packte die letzten Sachen ein. Ein ganzer Stapel Klamotten, denn 430 Kilometer pro Strecke würde er nicht mal eben so schaffen können. Vor allem nicht, wenn er tatsächlich den Zug nehmen musste.
„Mal schauen... wie viel habe ich noch im Sparstrumpf?“ Er öffnete eine Schublade und holte einen größeren Stapel Scheine aus einem der Strümpfe. Ein ganz klassisches Versteck, aber da Geld nicht mehr den Wert hatte, den es früher besaß, klaute es auch kaum noch jemand. Obwohl es noch immer solche Idioten gab... selbst in diesen Zeiten waren sie noch nicht ganz ausgestorben.
„Okay... alles klar. Dann hab ich wohl alles.
Er rieb sich die Hände und so etwas, wie Vorfreude erwachte in ihm. Schon lange hatte er sich nicht mehr so lebendig gefühlt, wie heute. Diese kurze Begegnung mit einem Phantom, dass er 20 Jahre lang jagen musste, hatte in ihm alte Kräfte und Instinkte geweckt. Heute Nacht, so wusste er jetzt bereits, würde er seit langer Zeit endlich mal wieder gut durch schlafen. Zu lange hatten ihn Alpträume geplagt, aber diese Zeit war endgültig vorbei.
Und er sollte Recht behalten. Es war die erste Nacht seit langem, in der er wirklich erholsam schlief. Keine Alpträume plagten ihn, sondern ruhige und erholsame Träume, die ihm alte Zeiten und neue Hoffnungen zeigten. Es war eine erholsame Abwechslung von den tristen und teils grausamen Träumen, die ihn in all den Jahren gequält hatten.
Es war fast so, das bemerkte er, während er sein Frühstück am nächsten Morgen verspeiste, als hätte Mikoto selbst einen positiven Einfluss auf das Leben aller Menschen um sie herum...
Es war eigentlich ein wahnwitziger Gedanke, einer, den man als Hirngespinst eines alten Mannes abtun sollte. Aber vorher sollte man sich alle Fakten noch einmal genau vor Augen führen.
Nachdem Mikoto in dieser Stadt ankam, hatte sie nicht nur vielen Geistern geholfen. Sie war auch für Yuki da, wenn er sie brauchte, sie hatte Sayuri wohl das Leben gerettet – er kannte diese Geschichte durch einige Ermittlungen – und vielen anderen Leuten, ihm eingeschlossen, geholfen. Dazu kamen eine ihm unbekannte Anzahl an Geistern. Daher fiel auch eine Sache sofort auf: der Verfall nach ihrem Verschwinden. Yuki Yutaka's Familie brach auseinander und er selbst verschwand spurlos. Steve Steiner wurde wegen Mordes verhaftet und verurteilt, Yujiro Sugisaki stürzte sich in seine Arbeit und wurde zu einem Workaholic und er selbst, einst der beliebteste Polizist der Stadt, wurde zwangspensioniert. Dazu kam der Ausbruch des Virus
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