Die Geisterseherin (German Edition)
trotzdem.
„Ja... das gefällt dir, nicht wahr? Die höchste Einheit dieser Welt windet sich unter dem gleichen Virus, der euch Menschen auslöschen sollte. Diese Ironie... du genießt sie, nicht wahr?“
Sie hustete erneut und Mikoto schüttelte traurig den Kopf. „Nein, ich finde es nur traurig... aber ich kann dein Verhalten nun verstehen. Du magst dich selbst hinter den Lügen einer ungebrochenen Loyalität eines Wesens uralter Tage verstecken, doch in Wirklichkeit fühlst du nur, was wir alle fühlen... die Angst zu sterben.“
Q'nqüra wankte einige Schritte auf Mikoto, die sich wieder ein Stück entfernt hatte, zu, ihre Hand hob sich, dann stolperte sie und fiel direkt vor Mikoto auf den harten Asphalt. Erneut hustete sie Blut und Mikoto musste schwer schlucken. Q'nqüra musste sich sofort nach ihrer Entmachtung infiziert haben. Ihr Status als Herrin der Zeit hatte sie lange vor den Auswirkungen des Virus geschützt, doch als er verschwand, war es dafür umso stärker in ihr ausgebrochen. Jetzt, nur wenige Stunden nach dieser Entmachtung, stand sie bereits auf der Schwelle zum Tod.
„Nein...“, keuchte sie, Blut traten in ihre Augen. „Ich will... nicht... Ich darf... nicht...! Ich... muss... IHN noch einmal... sehen... IHM sagen...“
Sie hustete erneut, ein ganzer Schwall Blut brach aus ihrem Mund hervor und breitete sich auf dem Asphalt aus. Für einen Moment musste Mikoto wegschauen, konnte das Bild jedoch nicht verdrängen. Dann fasste sie einen Entschluss.
Sie war ein Mensch und sie hatte Gefühle, sie war keine eiskalte Maschine.
Q'nqüra sah schon seit einigen Sekunden nur noch einen blutigen Schleier, die Welt um sie herum versank in tiefen Rot und die Töne wurden immer mehr zu einem schrillen und doch entfernten Fiepen. Sie wandte sich mit aller Macht gegen das Virus, wollte nicht sterben, bevor sie nicht die Rückkehr des EINEN erlebt hatte. Zu lange hatte sie auf diesen Moment gewartet, viele Äonen lang in den Himmel gestarrt. ER, der sie erschaffen hatte, war seit Anbeginn ihrer Zeit immer ihr Ziel gewesen.
Es traf sie in den Rücken, ein seltsamer Schmerz, der fehl am Platz war und nicht zum Rest des Schmerzes zu gehören schien. Erneut hustete sie, erneut quoll Blut aus ihren Mund und von dort aus auf den harten Asphalt.
Dann wurde es schwarz um sie herum.
Mikoto stand über ihr, in der Hand eine kleine Ampulle mit einer feinen Nadel. Sie war leer, lediglich an der Spitze klebte ein wenig Blut.
Ein wenig müde lächelnd hockte sich die Geisterseherin neben den bewusstlosen Körper. Sie war froh, dass es nicht noch zu einem längeren Kampf gekommen war und dass die Anwohner der Straße darum auch nicht in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Q'nqüra hätte zu ihren besten Zeiten vermutlich die halbe Stadt in Schutt und Asche legen können, wenn sie gewollt hätte... Allerdings hatte sie auch so den Zug ganz schön in Mitleidenschaft gezogen und Mikoto machte sich Sorgen um die Zugverbindung, die Leute im Zug selbst und die Tatsache, dass sie jetzt wohl ein Taxi nach Hause nehmen musste.
Außerdem blickte sie besorgt auf die Göttin vor ihr, wartete auf das, was noch kommen sollte. Würde ein Geist aus ihr werden oder würde sie überleben? Sie war immerhin trotz allem eine Art Geisterseherin... und wenn sie nicht aufpasste, dann hatte sie womöglich noch mit einem wütenden und mächtigen Geist zu kämpfen.
Und das letzte, was sie wollte, war Q'nqüra's Seele zu vernichten... „Ich hoffe, dass du verstehst, welches Opfer ich gerade gebracht habe...“, murmelte sie und ließ die Ampulle auf die Straße fallen. Sie rollte ein Stück davon und blieb, mit dem Etikett nach oben gerichtet, schließlich liegen.
Es war ein Gegenmittel gegen den Virus... die einzige Ampulle, die Mikoto besaß. Eine Ampulle, die sie in den zwanzig Jahren mit Hatsumomo zusammen hergestellt hatte, um sie ihrem Vater zu verabreichen, falls er infiziert werden sollte.
Jetzt hoffte sie, dass er schnell genug die Massen-Herstellung dieses Mittels erforschen konnte...
„Ich bin müde...“, murmelte sie und ließ sich rücklings auf den Asphalt fallen. Bislang war kein Geist erschienen, daher glaubte sie auch nicht, dass er noch erscheinen würde. Q'nqüra's Atem ging wieder regelmäßig, aber ihr Gesicht war noch von Schmerzen verzerrt. Dennoch musste sie warten, bis die Göttin wieder erwachte. Im Endeffekt konnte sie Q'nqüra nicht einfach liegen lassen. Sie wusste nicht, was sie nun tun würde... und ob sie
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