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Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Titel: Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Funke
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draußen aufzuschnappen war, nachzuspüren.
    Und so vernahm man jetzt nur das Stoffrascheln der üppigen Kleider der beiden Damen und roch den Duft von Parfüm und Frauenschweiß, der hinter ihnen die Stufen nach oben schwebte.
    Emma Pollmer, denn sie war die Freundin, die besucht werden sollte, Emma wohnte im ersten Stock. Auf dieser Etage gab es zwei verschieden hohe mit weißen und schwarzen Fliesen belegte Plateaus. Die Wohnungstür der Pollmer lag hinter dem höheren. Man musste aufpassen, denn die eine oder andere Fliese war nicht mehr fest, manche wackelten verdächtig oder knirschten leise, und wenn man unachtsam war, stieß man sich sogar den Fuß.
    Das Haus, ein Bau aus der Gründerzeit um 1870, wenn auch im Ganzen noch repräsentativ, zeigte im Innern schon diese und jene Alterserscheinungen. So funktionierte das Hauslicht nicht mehr zuverlässig, es flackerte und ging häufig aus, und der dunkelgrüne Ölsockel, obwohl mit einer gelbroten Blumengirlande geschmückt, wies bedenkliche Risse auf. An mancher Stelle, besonders unter den Flurfenstern, waren schon handtellergroße Stücke vom Putz abgeplatzt. Die beiden Damen störten sich nicht weiter an all diesen Kleinigkeiten, sie kamen ja nicht täglich hierher, aber sie kannten die Tücken der Bodenfliesen ziemlich genau. Vorsichtig traten sie heran, probierten mit der ausgestreckten Fußspitze, hielten einen Zickzackkurs ein, der aussah, als gingen sie über schwankenden Grund oder auf einem Moorpfad. Die Kaufmannsfrau murrte ein wenig, die Sängerin aber griff, nachdem sie einen langen Schritt getan, entschlossen an den Messinggriff, der eine Klingelschnur herabzog. Ein dünner zittriger Ton erklang. Es hörte sich wie das Glöckchen in einer alten, einsamen Sakristei an. Die Damen lauschten dem Klange nach. Nur einen Moment später waren schwere, schlurfende Schritte im Wohnungsinnern zu hören, dann tauchte ein Schatten hinter der farbig verglasten Wohnungstür auf.
    Oh, wie sie wieder verheult aussieht, denkt die Kaufmannswitwe Baer, als die Türe sich öffnet und sie ihre Freundin Emma im Schimmer des Flurlichts sieht. Auch die Sängerin ist vom traurigen Anblick erschrocken. Und tatsächlich, die Pollmer, 47 Jahre alt, schon etwas kräftig, indes schlaff und ohne feste Willenskraft, was sich in schwammigen Falten am Hals und Kinn zeigt, mit Tränensäcken und geröteten Wangen, das hochgesteckte dunkle Haar löst sich im Nacken in Strähnen wie eine Krause, kann ihren Gram und Kummer nicht verbergen. Und ein bisschen, scheint es, ist es auch ihre Absicht, sie will ihren Freundinnen zeigen:
    Seht doch, wie ich leide! Bin ich nicht ein Abbild des Jammers?
    Doch die Sängerin lässt sich nichts anmerken, sie ruft mit ihrer fröhlichen Stimme:
    Da sind wir wieder, liebste Emma!
    Auch die Witwe Baer lächelt, sie streckt die Arme aus:
    Lass dich umarmen, meine Liebe!
    Dann: Umarmungen, Küsschen, Komplimente zu Kleidern, Frisuren, Handtaschen, Schuhen. Ein Ritual unter Frauen, seit ewigen Zeiten gleich. Der Besuch tritt in die Diele, die Pollmer schließt die Tür, wirft einen misstrauisch prüfenden Blick in den Hausflur. Nein, die Nachbarsche schien nichts bemerkt zu haben, vielleicht ist dort auch niemand zu Hause. Schon seit vorgestern hat sie keinen gesehen. Margarete Dombrusch heißt die Nachbarin, eine Studienrätin für Französisch, eine verschlossene Person, kalt und vornehm, die schüttet keinerlei Abwaschwasser aus dem Fenster wie die Trommers im Erdgeschoss, die ihre Abwasserschüssel einfach in den Hof entleeren – ein Hof, wo die Hühner herumlaufen und die Karnickel hopsen und wo es riecht. Das Viehzeug gehört einem Schlachter, der gleich hinter der niedrigen Hofmauer seine Schlachterei hat. An die Geräusche, die man da manchmal hört, hat sie sich erst gewöhnen müssen. So ein helles angstvolles Quieken war da, auch ein Blöken, und dann steigt Dampf auf, der ganz verschieden riecht, mal nach Dung, dann wieder nach Gebrühtem. Na, Gott sei Dank, von diesem Lärm und den Gerüchen kriegt sie nur etwas mit, wenn sie im kleinen Kämmerchen neben der Küche das Fensterchen öffnet …
    Die Damen legen ab. Ach, verzeih Emma, ich müsste mal in dein … darf ich? Die Kaufmannswitwe verschwindet hinter der Toilettentür. Man hat hier schon Innentoiletten, eine ungeheure Bequemlichkeit. Nur wenige Dutzend Häuser in Weimar verfügen darüber.
    Emma denkt: Auf sowas hat Karl bei der Anmietung geachtet. Ja, da ist er sehr sorgfältig gewesen,

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