Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
meine. Warum sollte ich mir Gedanken machen, es war doch schon immer so.
Sie hatte beschlossen, Gabor zu vergessen. Jedes Mal, wenn sie an ihn dachte, zerschnitt ihr ein Messer das Herz. Sie seufzte tief, der Schmerz riss sie entzwei. Wenn sie daran zurückdachte, was in New York passiert war, schwindelte ihr. Es war, als hätte man sie an den Rand eines Abgrunds gestellt. Einen Schritt weiter, und sie würde ins Nichts stürzen … Dieses Nichts machte ihr Angst. Dieses Nichts lockte sie.
Sie lebte nur noch, weil sie keinen klaren Gedanken fassen konnte.
Ihr Ruhm war verblasst. Nach dem Rausch der ersten drei Monate hatten die Zeitungen andere staunenswerte Themen gefunden. Man riss sich nicht mehr um sie. So schnell geht das! Kurz vor Weihnachten riefen die Leute noch an, um ein Foto von mir zu machen oder mich zu bitten, eine Party mit meiner Anwesenheit zu beehren. Und jetzt … Sie schaute in ihren Terminkalender, ach doch!, ein Foto für die Gala nächsten Dienstag … Ich weiß nicht, was ich anziehen soll, ich muss unbedingt Hortense fragen. Genau, das ist es, ich werde Hortense bitten, einen neuen Look für mich zu entwickeln! Dann habe ich wenigstens eine Beschäftigung. Wir gehen zusammen einkaufen. Ich muss mir etwas einfallen lassen, das mich wieder ins Gespräch bringt. Im Scheinwerferlicht zu stehen ist so berauschend, aber wenn es verlischt, zittert man vor Kälte.
»Ich will, dass die Leute mich ansehen!«, schrie sie in die gedämpfte Stille ihres Zimmers. Aber dazu muss ich meinen Auftritt inszenieren. Mir live die Haare schneiden zu lassen war eine fantastische Idee. Jetzt brauche ich etwas anderes … Aber was? Sie sah zu, wie der Regen gegen die Scheibe prasselte, daran herunterlief und den Fensterrahmen erreichte. Sie schaltete den Fernseher ein und stieß auf eine Vorabendsendung. Sie erinnerte sich daran, dass sie selbst in die Sendung eingeladen worden war. »Wahnsinnig verkaufsfördernd, du musst unbedingt hin«, hatte die Pressefrau des Verlags gesagt. Ein junger Autor stellte seinen Roman vor. Iris verspürte einen neidvollen Stich. Eine Journalistin, deren Namen sie nicht kannte, erklärte, das Buch habe ihr ausnehmend gut gefallen, es sei ansprechend geschrieben: Subjekt, Verb, Objekt. Kurze, schnelle Sätze.
»Kein Wunder«, antwortete der junge Autor, »das kommt von den SMS…«
Deprimiert ließ sich Iris aufs Bett fallen. Ihr Buch war nicht wie eine SMS geschrieben. Ihr Buch war Literatur. Was habe ich mit diesem Schwachkopf gemein? Diesem unreifen Bengel! Entnervt schaltete sie den Fernseher aus. Begann wieder, im Zimmer auf und ab zu gehen. Eine Idee, sie brauchte eine Idee. Philippe würde nicht zum Abendessen nach Hause kommen. Alexandre war in seinem Zimmer. Sie vernachlässigte ihn. Sie hatte nicht die Kraft, sich für ihn zu interessieren. Wenn er ihr erzählte, was er in der Schule gemacht hatte, gab sie vor zuzuhören. Sie nickte wortlos zu den Sätzen ihres Sohnes, heuchelte Aufmerksamkeit und wünschte doch nur, er würde endlich still sein. Heute Abend würden sie allein essen. Sie fühlte sich schon im Voraus erschöpft und spielte mit dem Gedanken, Carmen zu bitten, ihr einen Teller zu richten, den sie mit ins Schlafzimmer nehmen könnte. Doch dann besann sie sich. Es läuft bestimmt etwas im Fernsehen. Wir essen einfach vor dem Fernseher.
Am nächsten Tag traf sie sich mit Bérengère zum Mittagessen.
»Du siehst nicht gut aus …«
»Ich müsste wieder anfangen zu schreiben, aber ich hab solches Lampenfieber …«
»Bei deinem ersten Versuch hast du ja auch gleich ein Meisterstück abgeliefert. Es ist bestimmt nicht leicht, so etwas zu wiederholen!«
»Vielen Dank für die Aufmunterung«, zischte Iris. »Ich sollte öfter mit dir zu Mittag essen, das würde mich richtig aufbauen.«
»Ach, komm schon, drei Monate lang hat alle Welt nur von dir geredet, du warst überall zu sehen, da ist es doch ganz normal, dass du deprimiert bist bei der Vorstellung, wieder in deinem stillen Kämmerchen zu sitzen.«
»Ich wünschte, es wäre ewig so weitergegangen …«
»Aber es geht doch so weiter! Als wir vorhin reingekommen sind, habe ich Leute flüstern hören: ›Das ist doch Iris Dupin, Sie wissen schon, die das Buch geschrieben hat …‹«
»Ist das wahr?«
»Ich schwöre es dir.«
»Ja, aber irgendwann hört das auch auf…«
»Nein. Weil du ein neues Buch schreiben wirst.«
»Aber das ist so schwer! Und es dauert so lange …«
»Dann machst du
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