Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
Kopf und kehrte zu ihrer Route zurück. Sie beschloss, durch den Bois de Boulogne abzukürzen, und hoffte, dass der Verkehr nicht allzu dicht sein würde.
»Du hättest mich trotzdem fragen können, ehe du jemandem davon erzählst«, sagte Joséphine, nachdem sie in die Straße zum Bois de Boulogne eingebogen war.
»Ach, Maman, lass doch die Haarspalterei, das können wir uns echt nicht leisten. Früher oder später brauchen wir Henriettes Geld, also sollten wir lieber die armen, verirrten Entchen am Straßenrand spielen, dann haben wir sie ganz schnell in der Tasche! Sie liebt es, gebraucht zu werden …«
»Auf keinen Fall. Wir werden nicht die armen, verirrten Entchen am Straßenrand spielen. Wir kommen auch ohne sie zurecht.«
»Ach ja? Und wie soll das gehen bei deinem lächerlichen Gehalt?«
Joséphine riss das Steuer zur Seite und hielt mitten im Park am Straßenrand.
»Hortense, ich verbiete dir, in diesem Ton mit mir zu reden, und wenn du dich weiter so unverschämt aufführst, bin ich gezwungen, andere Saiten aufzuziehen.«
»Oh, jetzt hab ich aber Angst!«, erwiderte Hortense höhnisch. »Ich mach mir ja gleich in die Hose.«
»Ich weiß, dass du mir so etwas nicht zutraust, aber ich kann auch härter durchgreifen. Ich war immer sanft und liebevoll zu dir, aber jetzt gehst du zu weit.«
Hortense schaute Joséphine in die Augen und sah darin eine neue Entschlossenheit, die sie fürchten ließ, ihre Mutter könne ihre Drohung wahr machen und sie womöglich in ein Internat schicken, und das wollte sie auf keinen Fall. Sie lehnte sich in ihrem Sitz zurück, setzte eine gekränkte Miene auf und erklärte verächtlich: »Red nur. Das kannst du ja gut. Wenn du im richtigen Leben schon nicht klarkommst …«
Da verlor Joséphine die Beherrschung. Sie schlug mit der Hand aufs Steuer und schrie so laut, dass die kleine Zoé vor Angst in Tränen
ausbrach. »Ich will nach Hause«, jammerte sie, »ich will mein Kuscheltier! Ihr seid böse, alle beide, ganz böse, ihr macht mir Angst!« Ihr Weinen übertönte die Stimme ihrer Mutter, sodass das kleine Auto, das früher nur schweigsame Fahrten oder Antoines Stimme erlebt hatte, der gern die Herkunft von Straßennamen erklärte, das Erbauungsjahr von Brücken und Kirchen nannte oder die Entwicklung einer Straße und ihrer Streckenführung nachzeichnete, innerhalb kürzester Zeit von lautem Geschrei erfüllt war.
»Was hast du denn seit gestern bloß? Du bist unausstehlich! Es kommt mir so vor, als würdest du mich hassen, was habe ich dir denn getan?«
»Mein Vater ist abgehauen, weil du so hässlich und nervig bist, das hast du getan. Ich will auf gar keinen Fall so werden wie du. Und dafür würde ich alles tun, wenn’s sein muss, mich auch bei Henriette einschleimen, damit sie uns ihr Geld rüberschiebt.«
»Ach, das hast du also vor: Du willst vor ihr kriechen?«
»Ich will nicht arm sein, ich hasse arme Leute, Armut stinkt! Sieh dich doch nur mal an. Du bist so hässlich, schlimmer geht’s gar nicht.«
Joséphine sah sie an, und ihr Mund öffnete sich vor Verblüffung. Sie konnte nicht mehr denken, sie konnte nicht mehr reden. Nur mit Mühe gelang es ihr weiterzuatmen.
»Hast du das nicht kapiert? Ist dir nie aufgefallen, dass Geld das Einzige ist, was die Leute noch interessiert? Ich bin genau wie alle anderen, ich schäme mich nur nicht, es zuzugeben! Also hör endlich auf, so selbstlos zu tun, das ist einfach nur bescheuert, Maman, total bescheuert!«
Sie musste unbedingt etwas sagen, sie musste einen Wall aus Worten zwischen sich und ihrer Tochter errichten.
»Du vergisst nur eins, mein liebes Kind, das Geld deiner Großmutter gehört immer noch Chef! Sie kann darüber gar nicht so frei verfügen, wie du dir das vorstellst. Du bist ein wenig voreilig …«
Das hätte ich nicht sagen sollen. Ganz und gar nicht. Ich hätte sie zurechtweisen sollen, ihr eine ordentliche Moralpredigt halten, nicht ihr sagen, dass dieses Geld ihr nicht gehört. Was ist nur los mit mir? Was geschieht mit mir? Seit Antoine weg ist, geht alles schief… Ich kann nicht einmal mehr klar denken.
»Chefs Geld ist Henriettes Geld. Chef hat keine Kinder, also erbt sie irgendwann alles. Ich weiß das, ich bin doch nicht blöd. So! Und hör auf, so zu tun, als wäre Geld der letzte Dreck, es ist einfach nur ein schneller Weg, um glücklich zu sein, und glaub mir, ich habe nicht die Absicht, unglücklich zu sein!«
»Es gibt noch anderes im Leben außer Geld,
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