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Die gelehrige Schuelerin

Die gelehrige Schuelerin

Titel: Die gelehrige Schuelerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ira Miller
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deinen verschiedenen Bewusstseinsebenen erleben.
    Vögeln mit Pot würde mir nur diese eine Ebene eröffnen. Wir haben doch genug zu erleben ohne das Zeug, nicht wahr?«
    Sie antwortete nicht, sondern nahm mich stattdessen noch fester in die Arme. Dann flüsterte sie ganz leise, atemlos:
    »Ich liebe dich.«
    Sie hatte so viel süße Unschuld. Sie konnte sich einfach zurücklegen und von mir lieben lassen. Vollständig. Ich spürte, wie ihre Zärtlichkeit auf mich übergriff. Ich fühlte sie ganz tief innen. Total. Dann schliefen wir aneinander geschmiegt, umschlungen von dünnen, elastischen Webfäden. Wir liefen noch einen Tag Ski und fuhren wieder ab. Dieses gemeinsame, vollständige Körpererlebnis von Skilauf und Liebe hatte uns noch tiefer miteinander verbunden. Wir fuhren schweigend durch die Nacht nach Hause und hingen unseren Gedanken an die schöne Zeit, die wir zusammen erlebt hatten, nach. Ich fühlte mich ganzheitlich. Verwahrt. Jenseits der Selbsthingabe. Das Gespür, dass wir einander kannten, das Gefühl für unsere Bedürfnisse, dass wir wussten, wann wir Nähe, wann Ferne brauchten, diese Erfüllung, das Wissen, dass wir uns umeinander sorgten, schuf eine beglückende Mischung aus Zärtlichkeit und Sicherheit.
    »Danke, Annie«, sagte ich leise zu mir während des Fahrens.
    »Bitte«, hörte ich sie laut sagen.
    Oder hatte ich mir das nur eingebildet?

12. Kapitel
Annietage
    Shakespeare hatte seine Salattage – ich hatte meine Annietage.
    Ferien – keine Lehrerarbeit – ein langer, ausgedehnter Freiraum vor mir und viel Zeit. Keine Aufteilung in Wochentage und Wochenenden. Nur Augenblicke mit Annie.
    Wir fuhren nach Portland und besichtigten den Zoo. Es war sehr kalt, und die meisten Tiere waren in den Ställen eingesperrt. Außer uns gab es kaum weitere Besucher.
    Wir schlenderten durchs Affenhaus. Ein Schimpanse spürte unsere Aufmerksamkeit und zog vor uns die große Schau ab. Er schwang sich von einem an der Decke hängenden Balken herunter, wälzte sich auf nicht vorhandenen, imaginären Felsen und schnatterte dabei ununterbrochen, wobei er ab und zu seine riesigen, gelben Zähne bleckte.
    »Hör auf, dir im Hintern rumzupulen!«, schimpfte ich ihn. Er kreischte laut und schnippte mit den Fingern den Dreck nach mir, den er sich herausgepult hatte. Ich duckte mich.
    »Hast du ein Glück, dass du hinter diesen Gittern bist«, drohte ich.
    Er kam nah zu uns heran, langte durch die Stäbe und riss mir die Tüte mit den Erdnüssen weg. Schreiend raste er damit in eine Ecke und mampfte dort überglücklich vor sich hin.
    »Sieh dir das an«, sagte ich. »Sogar ein Schimpanse stellt mich bloß.« Wir lachten. Annie hakte sich bei mir unter.
    »Du bist noch ein Kind«, sagte sie und lachte glucksend.
    »Ich bin alt. Ich bin jung.«
    »So alt bist du gar nicht.« Wir gingen nach draußen an den Schafen und Lamas vorbei und betrachteten die Bären und Seehunde. »Wir sind nur neun Jahre auseinander. Du bist ein als Lehrer verkleidetes Baby.«
    »Nicht so alt, was? Ich kann mich noch an die Zeit erinnern, als es noch keine Postleitzahlen gab. Eines Tages hat man sie erfunden, und unser Lehrer hat uns erklärt, was wir von nun an machen müssten.«
    »Sieh an«, sagte Annie mit gespielter Überraschung. »Ich dachte, es hätte schon immer Postleitzahlen gegeben.«
    »Nein. Ich meine das ernst. Sie haben dann auch alle Abkürzungen für die Staaten auf zwei Buchstaben beschränkt.«
    »Du bist ein Opa.«
    »So alt nun auch wieder nicht. Aber als ich klein war, trank jeder frischgepressten Orangensaft zum Frühstück, nicht dieses Tropicanazeug.«
    »Beeindruckt mich nicht.«
    »Ich kann mich noch an die Zeit erinnern, als jede zweite Fernsehreklame von den Freuden des Rauchens sprach.«
    »Daran erinnere ich mich auch noch schwach.«
    »Wie ist das …? Ich erinnere mich an die ersten Reklamespots, die einen völligen Wechsel in unserer gesellschaftlichen Wahrnehmung verursacht haben.«
    »Was?«
    »Abfallprobleme. Jedermann dachte, es wäre ganz okay, Zigarettenschachteln, Papier und alles Mögliche einfach auf die Straße zu werfen. Sie ließen alles aus den Autos fallen, eine Unmenge von Müll. Dann kam es plötzlich zu der riesigen Kampagne in der ganzen Nation: ›Jedes kleine Stück Abfall tut weh.‹ Reklamesendung nach Reklamesendung. Plakatwand nach Plakatwand. Überall wurden Papierkörbe aufgestellt. Und einige Leute, ich betone
einige,
beschlossen plötzlich, dass es schlimm sei, das

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