Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)
am
Morgen, als sie an dem Bergfluss ankamen. Niemand war zu sehen und die Männer
wurden etwas unruhig, als selbst zur Mittagszeit noch kein Kanzler aufgetaucht
war.
„Das gefällt mir nicht!“, murmelte einer der
Begleiter. „Das riecht nach einer Falle.“
„Warten wir noch eine Weile“, beruhigte Bao seine
Männer. „Es war keine Zeit ausgemacht. Sie werden sicher noch kommen.“
Schließlich hörte man Pferdewiehern, und die
Pferde der Song antworteten mit aufgeblasenen Nüstern und Prusten auf diesen
Gruß.
Durch die wenigen Bäume, die am Rande des Gewässers
standen, konnte man sehen, dass sich ein Trupp von etwa sieben Mann auf sie zu
bewegte. Soweit Bao es erkennen konnte, handelte es sich ausschließlich um Soldaten,
und seine Männer sahen sich fragend an, als auch sie es bemerkt hatten.
„Wo ist ihr Kanzler?“, fragte Ketùn.
Kejian war nicht mitgegangen. Stattdessen wollte
er im sicheren Lager warten, bis seine Männer erfolgreich von ihrer Mission
zurückkehrten. Damit meinte er nicht die Soldaten, die sich zur Stunde wohl mit
Bao trafen. Nein. Er hatte einen weiteren Trupp losgeschickt, um im feindlichen
Lager nach dieser Frau zu suchen. Wenn man sie fand und es nicht allzu großes
Aufsehen erregen würde, war es der Befehl, sie hierher zu bringen.
Vorsichtshalber hatten sie ein paar käufliche Frauen mitgenommen, die – ohne es
zu wissen – für Ablenkung sorgen sollten. Er wollte sich dieses Frauenzimmer an
Baos Seite aus nächster Nähe ansehen. Sie konnte sich als sehr wertvoll
herausstellen, wenn es stimmte, dass Bao mit ihr lebte. Wenn es sich allerdings
nur um eine Hure handelte, dann hätte er eben ein bisschen Spaß.
„Vielleicht habe ich den ja so oder so“, dachte
Kejian amüsiert und freute sich, als er hörte, dass seine Männer zurückgekehrt
waren – mit der immer noch bewusstlosen Frau. Sie hatten sie in sein Zelt
gebracht und er kam aus dem hinteren Bereich hervor, um sie sich anzusehen, bevor
sie erwachte.
Da lag sie in grobes Leinen gepackt und gefesselt.
Die Haare lagen wirr über ihrem Gesicht und er strich sie zur Seite. Es war
noch dunkel und Kejian hielt eine Fackel an ihren Kopf, um sie näher betrachten
zu können.
Sie kam ihm bekannt vor, aber er wusste auf den
ersten Blick nicht, an wen sie ihn erinnerte. Er hatte bereits einmal eine Frau
gesehen, die ihr sehr ähnelte. Doch wo?
Er dachte ein wenig nach und schließlich fiel es
ihm wie Schuppen von den Augen. Wenn man sich die Frau etwas jünger vorstellte,
mädchenhafter, die Wangen etwas voller und die ganze Erscheinung etwas
gepflegter, dann… dann sah sie aus, wie die jüngste Frau seines alten Kaisers.
Jetzt war er sich sicher. Das war zweifelsohne die junge Min-Tao! Aber wie kam
sie in dieses Lager?
Kejian begann zu begreifen und fühlte eine Genugtuung
in sich aufsteigen. Es war noch besser, als er erwartet hatte. Das hier war
keine gewöhnliche Frau, mit der man Bao unter Druck hätte setzten können. Dies
war eine verbotene Frau und er war sich sicher, dass sie jemandes
Protegé gewesen sein musste. Bestimmt war dieser Wang Anshi ebenfalls
eingeweiht gewesen in das Verhältnis, das offensichtlich schon seit Jahren
bestand! Selbst wenn nicht, war es einen Versuch wert, die Gelegenheit zu
nutzen, sowohl Bao als auch Wang Anshi zu vernichten. Beide waren ihm schon
immer ein Dorn im Auge gewesen! Doch er wollte erst sicher gehen, ob es sich
bei der Frau wirklich um Min-Tao handelte. Er fasste sie an der Schulter und
rüttelte sie sachte.
„Min-Tao. Wacht auf!“
***
Jemand rief nach mir. Stöhnend bewegte ich mich.
Nach einigen Momenten kniff ich die Augen zusammen und hielt mir schließlich
den Kopf. Als ich die Augen öffnete, sah ich in das freundliche Gesicht eines
Mannes, der vielleicht fünfzehn Jahre älter war als ich.
„Wo bin ich?“, fragte ich erschrocken und
versuchte, den Kopf zu heben.
„Ihr seid hier in Sicherheit. Wir wurden
angegriffen, aber es ist uns gelungen, Euch aus den Fängen des Feindes zu
befreien.“
„Wo ist Bao?“, rief ich und wurde wieder sanft auf
den Boden zurückgedrückt.
„Er ist noch nicht zurück gekehrt. Das Treffen ist
offenbar noch nicht vorüber. Macht Euch keine Sorgen, Min-Tao.“
„Ihr wisst…“ brach ich erschrocken meinen Satz ab.
„…Euren Namen? Natürlich. Ich bin ein guter Freund
Eures Mannes gewesen. Ein Freund im Dienste des Kaisers“, schloss Kejian seinen
Satz und weidete sich sichtlich am blanken
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