Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)
auf dem Weg zu den anderen, als er
noch einmal nach mir rief. „Min-Tao!“
Eifrig drehte ich mich um.
Er winkte mich zu sich, ging jedoch, als ich vor
ihm stand, einen Schritt auf mich zu. Ich glaubte schon, er wolle mich in aller
Öffentlichkeit küssen, doch seine Wange berührte lediglich die meine. „Noch
etwas“, flüsterte er in mein Ohr. „Ich wünsche hier keine Reitende Kaiserin ,
hast du verstanden? Du kannst dich auch hier um die Pferde kümmern, aber innerhalb des Palastes.“
Beschämt nickte ich und wartete, bis er sich
entfernt hatte. Dann drehte auch ich mich um und folgte den anderen Frauen, die
im Hintergrund auf mich gewartet hatten.
„Was wollte er?“, fragte Shinlan.
„Dass ich mich auch hier um die Pferde kümmern
soll“, erklärte ich knapp. Manchmal war ich mir nicht sicher, was der Kaiser in
mir sah. Beunruhigt hatte mich seine Anspielung auf die Reitende Kaiserin .
Ich wusste nicht genau, was er damit meinte. Nur, dass ich den Palast nicht
verlassen durfte, wie ich es gewohnt war. Wie sollte ich mich dann mit Bao
treffen? Es wäre so einfach gewesen…
Die Freiheiten aus Dongjing waren dort zurückgeblieben.
Mir blieb nur die Hoffnung, einen anderen Weg zu finden, den Zwängen der
Palastmauern zu entfliehen. Wenigstens durfte ich wieder zu Ning .
***
Bao musste von Weitem mit ansehen, wie der Kaiser
Min-Tao vor allen Menschen zu küssen schien. Er ballte seine Fäuste und
unterdrückte die aufsteigende Eifersucht.
Seine Geliebte folgte dann den Frauen und war
schon bald aus seinem Sichtfeld verschwunden. Nun kam der für ihn aufregende
Teil: Die Frauen wählten ihre Quartiere.
***
Cheng-Si führte uns am Eingang des Thronsaals
vorbei und schritt an der Seite ein paar Treppen hinab, bis wir zu einem
Torbogen gelangten. Dahinter befand sich bereits der Bereich der Frauen. Anders
als in Dongjing hatten wir hier eigene, voneinander abgetrennte Räumlichkeiten.
Dies war eine Sensation! Wir wohnten zwar alle noch unter einem Dach, aber jede
hatte ihre eigene Türe und wenn wir uns treffen wollten, so gab es dafür einen
eigenen Gemeinschaftssaal. Neu war auch, dass wir nun nicht mehr durch dünne
Wände getrennt waren, sondern jede Wohnung für sich massiv gebaut war.
Ungewöhnlich, wie ich fand.
„Sind alle Wohnungen gleich?“, fragten Shinlan
aufgeregt.
„Nun, seht sie euch doch einmal genau an!“
Cheng-Si schmunzelte und ich folgte ihrem Blick. Offenbar hatte sie bereits
entdeckt, woran man erkannte, welche Wohnung für welche Frau gedacht war. Ich
konnte zunächst nichts erkennen, aber Su-Ling war die erste, die es bemerkte.
„Seht euch die Türrahmen an“, rief sie jauchzend
und strich mit ihren Fingern über die Schnitzereien, fuhr den Symbolen nach,
die sie als die ihren erkannte. „Das ist meine Wohnung“, triumphierte sie.
Neugierig sah ich über ihre Schulter. „Woher
willst du das wissen?“ Doch dann erkannte ich es und errötete. Auf diesem
Türrahmen waren zahlreiche Brüste und Lippen abgebildet – und ein Phallus. Ohne
Zweifel war diese Wohnung für Su-Ling.
Dennoch lief sie von einem Türrahmen zum nächsten
und wollte sich offenbar vergewissern, ob nicht doch eine andere ebenfalls
Liebessymbole an der Tür hatte.
Neugierig gingen wir alle mit ihr.
Der nächste Rahmen hatte viele Kinder.
„Das ist bestimmt deine Wohnung, Shinlan“, rief
ich.
„Ja, fürs Kinderkriegen bist du zuständig“, feixte
Su-Ling und alle lachten.
Shinlan freute sich, endlich die Füße hochlegen zu
können und verschwand in ihren Räumlichkeiten.
Neugierig gingen wir anderen weiter und
betrachteten die Rahmen: Blumen; nochmal Brüste, aber viel kleinere als die bei
Su-Ling, wie sie immer wieder betonte und damit für allgemeines Gelächter
sorgte; mehrmals geschwungene Ornamente, die alles und nichts darstellten…
Die letzte Tür wies Pferdeköpfe auf.
„Min-Tao. Dies ist deine Wohnung“, stellte Su-Ling
fest und ich sah es ebenso.
Neugierig betrat ich mein neues Reich. Ich freute
mich über diese neugewonnene Privatsphäre, denn ich hatte mir bereits Gedanken
darüber gemacht, ob ich hier, so nahe bei Bao, meine Gefühle verstecken konnte,
wenn ich niemals die Möglichkeit hätte, vollkommen alleine zu sein.
Gleich hinter dem Eingang befand sich eine Art
Salon. An der Decke sah ich blanke, dunkle Holzbalken, die kunstvoll verziert
waren mit Tierköpfen und Fabelwesen. Es gab einen Kamin auf der rechten Seite
mit einer Sitzgruppe davor.
Weitere Kostenlose Bücher