Die Geliebte des Kosaken
Sicher war nur eines: Das Gold war verschwunden, seine Kosaken waren in alle Winde zerstreut, und Oleg saß im Gefängnis. Er hatte ihn damals beauftragt, den Goldtransport in der Gegend von Jekaterinburg zu übernehmen, er selbst wartete unten in Odessa, um den Zoll wie üblich zu bestechen und den Verkauf der wertvollen Fracht in Persien zu regeln. Als die Nachricht kam, dass die Sache schiefgegangen war, hatte er sich so rasch wie möglich abgesetzt. Vielleicht war das ein Fehler gewesen, sehr wahrscheinlich sogar. Aber er musste damit rechnen, dass Oleg der Polizei eine Menge Geheimnisse verriet, und er hatte wenig Lust, die Kerkerhaft mit ihm zu teilen.
Es war schwer zu sagen, wo das Gold jetzt war. Möglicherweise hatten seine Kosaken die Ladung in ihren Besitz gebracht und – da die Sache offensichtlich schiefgelaufen war – das Gold einfach unter sich aufgeteilt. Es konnte jedoch genauso gut sein, dass die Polizisten in Perm oder sonst irgendein Strauchdieb das Zeug unterschlagen hatten. Er hatte auch daran gedacht, dass sein Freund Oleg ihn hintergangen haben könnte, doch eigentlich traute er ihm so viel Verstand nicht zu. Immerhin würde Oleg ihm erklären können, was damals genau passiert war, es würde also auf jeden Fall Sinn machen, ihn zu sprechen.
Womit er wieder beim schwierigsten aller Probleme angekommen war. Was er auch unternahm, er würde Natalja damit in Gefahr bringen. Das Beste würde sein, sie sofort nach ihrer Ankunft dem Gouverneur in Perm anzuvertrauen, der so rasch wie möglich einen Boten nach St. Petersburg schicken würde. Sollte Großmütterchen ihre ungehorsame Enkelin doch abholen kommen – auf jeden Fall war er, Andrej, damit die Verantwortung für das Mädchen los.
Er knirschte mit den Zähnen und schlug nach einer vorwitzigen Fliege, die der Wind ihm ins Gesicht geweht hatte. Ein vernünftiger Plan war das keineswegs. Im Gegenteil: Als ein Idiot, der er war, würde er damit selbst zu dem glücklichen Wiedersehen des jungen Brautpaares beitragen.
Gegen Abend fiel ihm auf, dass Natalja hin und wieder zusammenzuckte und das Gesicht verzog. Ohne Zweifel hatte sie Probleme, so lange im Sattel zu bleiben, und er machte sich Vorwürfe, nicht schon früher nach einer Übernachtungsmöglichkeit gesucht zu haben. Doch sie hatte sich nicht beklagt.
„Im nächsten Dorf quartieren wir uns ein. Hältst du so lange durch?“
Sie presste die Lippen zusammen und nickte. „Es geht schon“, sagte sie.
Wie tapfer sie war. Jetzt, da sie tatsächlich Anlass zum Jammern gehabt hätte, kam kein einziger Schmerzenslaut über ihre Lippen. Andrej spürte wahrhaftig Respekt vor dieser zarten Person, die so hart gegen sich selbst sein konnte. Sie mochte ein verwöhntes Adelstöchterlein mit allerlei Marotten sein – aber sie hatte Haltung und einen verflucht festen Willen.
Die Abendsonne ließ die hellen Stämme der Birken für wenige Minuten rotgolden schimmern, als sie die niedrige Bauernkate entdeckten, die vollkommen einsam im Wald stand. Der hölzerne Zaun umschloss einen kleinen, halb verwilderten Garten, in dem Kürbisse, Rüben und Kartoffeln mit dem Unkraut kämpften. Vor der Kate saß ein graubärtiger Mann im Bauernkittel auf einer Bank, rauchte ein Pfeifchen und sah den ankommenden Reitern neugierig entgegen.
„Grüß dich, Alterchen“, rief Andrej ihm zu. „Hast du in deiner Kate Platz für zwei müde Reisende?“
Das Gesicht des Alten war so zugewachsen, dass Natalja nicht erkennen konnte, ob er sich freute oder erstaunt war. Doch er kam eilig aus seinem Garten gehumpelt, um die Gäste in Augenschein zu nehmen.
„Freilich, freilich“, sagte er. „Es geschieht nicht gerade oft, dass Reisende bei mir vorbeireiten. Kommt ihr gar aus der Hauptstadt?“
Andrej schwatzte leutselig mit dem Alten, der tatsächlich froh war, einmal wieder Menschen um sich zu haben. Vor drei Jahren sei ihm die Frau gestorben, erzählte er. Die Kinder seien groß und in alle Winde zerstreut – so sei er allein zurückgeblieben, Gott habe es so gewollt.
Andrej sah zu, wie Natalja vom Pferd stieg, einige unsichere Schritte tat, sich dann aber nichts mehr anmerken ließ. Sie begann sogar, sich mit dem Alten zu unterhalten, fragte ihn nach seinen Kindern, ließ sich seinen Garten zeigen und hatte nach kurzer Zeit das Vertrauen ihres Gastgebers erworben, der nun seine Speisekammer plünderte, um den Gästen ein Abendbrot zu bieten. Während langsam die Dämmerung über den Wald kroch und die
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