Die Geliebte des Kosaken
reichte ihr beide Hände.
„Muskelkater tut verflucht weh, Natalja. Komm, lass dir helfen.“
Sie hätte es gern abgelehnt, aber seine blauen Augen blickten sie freundlich und ohne jeglichen Spott an, so dass sie ihm schließlich die Hände reichte und sich hochziehen ließ. Es war nicht einfach, sich auf den Beinen zu halten, und noch schwieriger war es, einen Schritt zu tun.
„Draußen gibt es Frühstück“, bemerkte er und beobachtete ihre Gehversuche mit gerunzelter Stirn.
„Geh schon vor, ich komme gleich!“
Er seufzte, dann trat er zu ihr, und bevor sie protestieren konnte, hatte er sie auf seine Arme gehoben.
„Was soll das? Ich kann alleine laufen!“
„Ruhig, Natalja. Du wirst deine Kräfte noch brauchen.“
Sie konnte nicht einmal zappeln, so schmerzte jede Bewegung, daher musste sie sich ohne Gegenwehr aus der Kate tragen und draußen auf die Bank setzen lassen. Doch sie war wütend über seine Frechheit und mehr noch über die eigene Hilflosigkeit.
„Ein halber Tag geritten – dann ist alles vorbei“, tröstete er sie und legte ihr Brot, Honig und den Rest der Pasteten vor. Dazu gab es frisch gemolkene Kuhmilch, die Natalja naserümpfend von sich schob. Sie hasste Milch, allein schon von dem Geruch wurde ihr schlecht. Aber Tee war in der Kate des Alten leider ein unbekannter Luxus.
Der Tag versprach wolkenlos und heiß zu werden, schon jetzt summten Insekten über den Wiesen, und die kleinen Blättchen der Birken schimmerten silbrig in der Morgensonne.
Andrej hatte Jacke und Mantel bereits auf sein Pferd geschnallt, und das offene Hemd ließ ein Stück seiner braungebrannten Brust sehen, die von einem dichten Flaum dunkler Härchen bedeckt war. Er schien bester Laune, blinzelte Natalja fröhlich zu, fragte den Alten nach dem Weg aus und schien Nataljas ärgerliches Schweigen gar nicht zu bemerken.
„Brechen wir auf?“, fragte er und nickte ihr ermutigend zu.
Sie schluckte und war nahe daran, um einen Tag Aufschub zu bitten. Aber dann siegte ihr Stolz – sie würde sich nicht noch einmal von ihm verspotten lassen, wie er es gestern getan hatte, als sie um eine Kutsche bat. Und außerdem ging es um Oleg – je eher sie in Perm war, desto rascher konnte sie sein Los erleichtern.
„Du bestimmst, und ich folge“, erwiderte sie kratzbürstig und stützte sich auf die Tischkante beim Aufstehen.
„Schön wäre es“, knurrte er, während er ihren Wallach dicht neben den Zaun führte und ihn dort festband.
Sie schaffte es tatsächlich, durch den Garten bis zum Gartenzaun zu gehen, obgleich die Arme bei jedem Schritt das Gefühl hatte, gleich auseinanderbrechen zu müssen. Andrej war inzwischen auf einen der Zaunpfosten geklettert und lockte den Wallach in eine günstige Position.
„Was soll das werden?“, fragte sie verständnislos, als er sich zu ihr herunterneigte und die Arme ausstreckte.
„Das siehst du gleich!“
Sie stieß einen Schrei aus, als er die Hände fest um ihre Taille schloss und sie mit leichtem Schwung auf den Rücken des Tieres beförderte. Verblüfft sah sie zu, wie er zufrieden grinsend von seinem Pfosten herabsprang, dem Alten eine kleine Summe in die Hand drückte und dann auf sein eigenes Pferd stieg.
Wieso überrumpelte er sie eigentlich immer mit seinen Hilfeleistungen? Konnte er nicht vorher fragen? Sie schnaubte wütend und mühte sich dann, das rechte Bein über den Hals des Pferdes hinwegzuheben, um richtig im Sattel zu sitzen. Es tat scheußlich weh, und außerdem behinderte sie der weite Sarafan. Eigentlich war es Unsinn, im Kleid zu reiten. Zu Hause auf dem Gut hatte sie hin und wieder Hosen und eine Jacke getragen – doch das hatte die Großmutter ihr später energisch verboten.
Die ersten Minuten waren die Hölle, aber sie biss die Zähne zusammen und bemühte sich, ein gleichmütiges Gesicht zu machen.
Andrej ritt langsam vor Natalja her, sah sich hin und wieder nach ihr um und war ungewöhnlich ernst und schweigsam. Er hatte ihre schmale Taille mit seinen beiden Händen umschließen können, ein erregendes Gefühl. Doch jetzt dachte er darüber nach, ob dieses zarte, zerbrechliche Mädchen überhaupt in der Lage sein würde, den weiten Ritt zu überstehen. Auf der anderen Seite war sie zäh, die hübsche Natalja. Zäh und unglaublich stur. Vielleicht waren solche Eigenschaften ja wichtiger als ein starker Körper.
Er sah seine Vermutung bestätigt, denn schon bald entspannten sich ihre Gesichtszüge, und sie schloss zu ihm
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