Die Geliebte des Kosaken
ab. Dabei fiel ihr Blick auf Natalja, die aufgestanden war und ihnen zuwinkte.
„Andrej?“
Er grunzte nur leise und drehte sich auf die Seite. Nun ja – es war sicher besser, wenn sie ihn schlafen ließ. Die Frau hatte sich jetzt einen Korb auf den Rücken gehievt, sie nahm das Kind an der Hand und schritt langsam zum Gutshaus hinüber. Immer wieder blieb sie zögernd stehen, schien zu überlegen, sah dann das Kind an und setzte ihren Weg fort.
Wie seltsam, dachte Natalja. Nein, eine Adelige ist sie nicht.
Wirklich – die Frau nahm eine untertänig gebückte Haltung ein, als sie durch das hölzerne Einfahrtstor des Gutshofs schritt, und das Kind begann wieder zu weinen.
„Guten Morgen“, rief Natalja ihr fröhlich zu, „wir sind fremd hier und haben ein wenig gerastet. Kommst du aus dem Dorf dort drüben?“
Die Frau hatte Mühe, das jammernde Kind zu beruhigen, und Natalja sah jetzt voller Mitleid, dass beide sehr hager waren, auch war das Kleid, das in der Ferne so schön geleuchtet hatte, aus der Nähe gesehen voller Risse und Flecke.
„Seid gegrüßt, Herrin“, sagte die Frau und warf einen ängstlichen Blick auf den schlafenden Andrej, „wir sind aus dem Dorf, freilich. Ich bin Afranasija, und das ist mein Sohn Jegor.“
„Du hast Rüben gezogen, wie?“, wollte Natalja neugierig wissen. „Sind sie denn schon reif?“
„Noch nicht, Herrin. Aber wir haben Hunger.“ Sie war noch jung, vielleicht kaum 20 Jahre, aber sie sah verhärmt aus, und ihr Blick huschte unstet umher. Der Kleine trug ein zerfetztes, schmutziges Hemd, beide waren barfuß.
„Sind die Vorräte denn schon alle?“, fragte Natalja mitleidig.
„Schon seit dem Frühjahr …“
Das war merkwürdig. Die Frau starrte auf ein kleines Stück Brot, einen Rest des Frühstücks, das neben Andrej im Gras lag. Natalja zögerte – dann hob sie es auf und reichte es dem Buben. „Wir haben leider selbst nicht mehr viel“, gestand sie und starrte das Kind an, das den Bissen hastig in sich hineinschlang. Oh Gott, die beiden mussten ja halb verhungert sein.
„Warte!“ Sie bückte sich und suchte die letzten Vorräte in der Satteltasche hervor. Ein wenig hartes Brot, Käse, zwei kleine Pasteten und einen Zipfel Wurst. „Da – nimm, wenn du hungrig bist. Mehr haben wir nicht.“
Afranasija starrte die Lebensmittel an, sah dann zu Natalja auf und schien nicht glauben zu wollen, dass ihr diese Schätze wirklich gehören sollten. Zögernd griff sie nach dem Brot, dann sah sie Nataljas aufforderndes Lächeln und wurde mutiger.
„Gott lohne es Euch, Herrin“, flüsterte sie, setzte den Korb ab und packte alles hinein. „Wir sind arm und selbst an unserem Elend schuld, Herrin. Nun hungern wir und unsere Kinder. Gott möge uns verzeihen um der Kleinen willen.“
Natalja begriff wenig von ihrer Rede, sie entdeckte jedoch erschrocken, dass Hals und Arme der jungen Frau blaue Flecken und Striemen aufwiesen. „Was ist hier geschehen?“, fragte sie und wies auf das Gutshaus. „Warum wohnt hier niemand mehr?“
Afranasija blickte scheu zum Haus hinüber und zog ihr Kind dichter zu sich heran. „Sie sind gestorben“, murmelte sie.
„Wie ist das passiert?“
„Wie das Unwetter über die Herde hereinbricht, Herrin. Gott hat es so gewollt.“
„Und wer hat das Haus so verwüstet?“
Afranasija hob den Korb auf den Rücken und gab keine Antwort auf die Frage. Stattdessen lächelte sie Natalja schüchtern an und fasste ihre Hand. „Ihr seid ein guter Mensch, Herrin“, sagte sie und küsste ihre Hand. „Bleibt nicht hier, dies ist ein schlimmer Ort. Reitet davon, so rasch es geht, und seht Euch nicht um. Gott schütze Euch.“
Natalja spürte einen leichten Schauder und schwieg. Afranasija hatte sich umgedreht und ging mit eiligen Schritten davon, ihren Sohn so hastig hinter sich herziehend, als würde sie verfolgt. Erst als sie ein gutes Stück vom Gutshof entfernt war, schaute sie noch einmal zurück, dann nahm sie den Weg zum Dorf hinüber, das rote Kleid wehte im Morgenwind um ihren mageren Körper.
Natalja sah ihr nach, dann spürte sie wieder jenes seltsame Unbehagen und beschloss, Andrej jetzt doch aufzuwecken.
Er knurrte unwillig, als sie ihn rüttelte, dann blinzelte er und fasste ihre Hand. „Du hast mich soeben um den schönsten Traum meines Lebens gebracht“, scherzte er, setzte sich auf und wollte sie an sich ziehen. Doch sie schüttelte den Kopf.
„Ich glaube, du hattest doch recht, Andrej“, gestand sie,
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