Die Geliebte des Malers
und Vergessen. Plötzlich mischte sich Angst in Cassidys Leidenschaft. Als Colin ihren Mund freigab, atmete sie stoßweise, die Augen waren verhangen vor Leidenschaft und Verwirrung.
»Bitte, Colin, lass mich los. Ich glaube, ich habe Angst.« Er würde sie nehmen können, das wusste sie, und er würde sie dazu bringen können, dass sie ihn willkommen hieß. Seine Augen blitzten in einem leuchtenden Blau, und sie hielt ihren Blick ganz bewusst auf dieses helle Strahlen gerichtet. Würde sie den Blick auf seine Lippen senken, wäre sie verloren, das wusste sie. Sie spürte seinen Griff an ihrem Nacken fester werden, dann ließ der Druck seiner Finger nach, und Colin ließ seine Hand sinken. Ihr war klar, wie knapp sie noch einmal davongekommen war. Erschüttert fuhr sie sich mit einer Hand durchs Haar.
Colin verfolgte ihre Geste mit vor der Brust verschränkten Armen. »Ich frage mich, gegen wen du mehr ankämpfen musst – gegen mich oder gegen dich selbst.«
»Diese Frage stelle ich mir auch gerade«, gab sie impulsiv zu.
Bei ihrer Antwort neigte er leicht den Kopf zur Seite und musterte sie. »Du bist eine ehrliche Haut, Cassidy. Doch achte darauf, wie ehrlich du zu mir sein willst. Ich habe nur wenige Hemmungen, meine Vorteile auszunutzen.«
»Nein, das glaube ich auch nicht.« Sie atmete tief aus und drückte den Rücken durch. »Na, das hätte sich wahrscheinlich auf Dauer so oder so nicht vermeiden lassen«, setzte sie sachlich an. »Aber jetzt, da wir es hinter uns haben, sollten wir eine Wiederholung tunlichst vermeiden.« Sie runzelte verständnislos die Stirn, als er laut zu lachen begann. »Habe ich etwas Lustiges gesagt?«
»Cass, du bist einzigartig.« Bevor sie etwas erwidern konnte, war er wieder bei ihr und legte beide Hände auf ihre Schultern, massierte sie auf geradezu kameradschaftliche Weise. »Dieser britische Hang zur Pragmatik wird immer mit der keltischen Leidenschaftlichkeit die Klingen kreuzen.«
»Du siehst das zu romantisch, viel zu verklärt«, behauptete sie und hob das Kinn.
»Eine Tür ist aufgestoßen worden, Cassidy.« Bei seinen Worten runzelte sie die Stirn, denn der Vergleich erinnerte sie an ihre eigenen Gedanken. »Für dich wäre es vielleicht besser, wäre sie geschlossen geblieben.« Sein Griff wurde kurz fester. »Aber es ist nicht mehr zu ändern. Diese Tür wird nicht wieder zu schließen sein. Eine Szene wie vorhin wird sich also wiederholen.« Er ließ die Hände sinken und trat von ihr zurück, doch ihre Blicke waren noch immer ineinander verhakt. »Geh jetzt, solange ich mich daran erinnere, dass du Angst hast.«
Der fast übermächtige Wunsch, auf ihn zuzutreten, anstatt von ihm abzurücken, alarmierte sie erneut. Als einzige Verteidigung blieb ihr, hastig auf die Ateliertür zuzugehen.
»Morgen früh um neun«, hörte sie seine Stimme hinter sich, als sie die Hand an den Türknauf legte.
Sie drehte sich zu ihm um. Er stand in der Mitte des Raumes, die Daumen in die Schlaufen seiner Jeans gehakt. Die Sonne fiel durch die Fensterfront hinter ihm ein, verstärkte seine Silhouette dunkel gegen das helle Licht. Cassidy schoss der Gedanke durch den Kopf, dass es wohl klüger wäre, zu gehen und nie wieder zurückzukommen.
»Du bist doch kein Feigling, oder, Cass?«, fragte er da auch schon herausfordernd, als hätte er ihre Gedanken gelesen.
Sie warf den Kopf zurück und straffte die Schultern. »Pünktlich um neun«, erwiderte sie kühl und knallte die Tür hinter sich zu.
4. K APITEL
Nach und nach fiel Cassidy die Rolle des Künstlermodells immer leichter. Und was Colin betraf, so kam sie zu dem Schluss, dass es jedem Schwierigkeiten bereiten würde, sich in seiner Gegenwart zu entspannen. Er besaß ein überaus hitziges Temperament, das beim geringsten Anlass aufbrauste. Wut überkam ihn ebenso leicht wie Lachen. Und je mehr Cassidy über diesen Mann erfuhr, desto stärker faszinierte er sie.
Sie versuchte, ihr wachsendes Interesse an Colin Sullivan mit schriftstellerischer Neugier zu rechtfertigen. Schließlich würde eine solche Persönlichkeit – vielschichtig, unberechenbar, eigensinnig und von einer beeindruckenden Aura umgeben – jeden Autor faszinieren. Solche Charaktere bildeten das Fundament ihres Berufes. Immer wieder sagte sie sich vor, dass zwischen ihnen nichts anderes bestand als ein künstlerischer Austausch. Auch führte sie sich ständig vor Augen, dass er sie nicht wieder angerührt hatte. Nun, außer, wenn er sie in Pose für sein
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