Die Geliebte des Normannen
Vater?
Adele lächelte.
Geoffrey hatte keine Kinder. Das war nicht überraschend angesichts der Tatsache, dass er, wenngleich er kaum zölibatär lebte, gegen seine starke Sexualität ankämpfte, so gut er konnte.
Dennoch war er schon mit dreizehn Jahren zum ersten Mal mit einer Frau zusammen gewesen. Hätte er also inzwischen nicht schon längst ein Kind zeugen können?
Vielleicht, dachte er kurz, war er gar nicht zeugungsfähig. Darüber hatte er noch nie nachgedacht. In seiner Position würde ein Kind eine peinliche Verpflichtung darstellen. Ein Kind konnte alles zunichte machen, wofür er gearbeitet hatte, es konnte seine Zukunft zerstören.
Aber ... lieber Gott, wie sehr er sich nach einem Kind sehnte!
Lieber, lieber Gott, wie sehr hoffte er, das Baby, das Adele unter dem Herzen trug, möge seines sein!
Trotz der Tatsache, dass er das Kind niemals öffentlich als seines anerkennen konnte, und trotz der Konsequenzen, die vielleicht auf ihn zukamen, falls die Wahrheit ans Licht käme – er wünschte sich, dass dieses Kind seines wäre.
Er blickte Adele an. Sie lächelte zufrieden und hochmütig. Er war wütend.
»Es wird dir leidtun, wenn du weiter mit mir spielst, Adele.«
Ihr Lächeln verschwand.
»Es ist deines. Ich weiß es.«
»Woher willst du das so sicher wissen? Ich war zwei Wochen lang jeden Tag in deinem Bett, aber unmittelbar danach hast du Ferrars geheiratet. Wie kannst du da sicher sein?«
»Ich bin es eben.«
Geoffrey war nicht so dumm, ihr einfach zu glauben. Es war unmöglich, dass sie so sicher sein konnte. Also konnte er oder auch Ferrars der Vater sein. Der Geburtstermin sagte gar nichts aus, schließlich konnte ein Kind etwas zu früh oder etwas zu spät kommen.
Und da Ferrars ebenso blond war wie er, würde auch das nichts beweisen. Es sei denn, das Aussehen des Kindes war unverkennbar – und bis dahin, bis es ins Erwachsenenalter kam, würden noch Jahre vergehen.
Adele stand hinter ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
»Du bist der Vater«, sagte sie verführerisch. »Ich bin mir sicher. Nur dein Samen konnte so machtvoll und potent sein, wie du es eben bist.«
Geoffrey hörte sie kaum. In diesem Moment wusste er, dass er die Wahrheit wahrscheinlich nie erfahren würde. Und in diesem Moment wusste er ebenso, dass ihn dieses Kind für immer an Adele binden würde, auf eine Art und Weise, die weit wichtiger war, als es bloße Lust jemals sein konnte. Ihm schwindelte.
Für einen Moment, einen Moment des Irrsinns, und obwohl er wusste, was für eine Frau Adele war, begehrte er sie als seine Gemahlin.
»Ich lasse dich zum Abt bringen. Wenn du willst, gebe ich dir ein kurzes Schreiben für ihn mit.«
» Geoffrey!«
Sein Blick war dunkel, unergründlich.
»Das Kind ändert nichts, Adele. Es ist aus.«
»Aber ich liebe dich!«, rief Adele. Sie errötete, die verräterische Farbe, die ihre Worte als die Wahrheit erkennen ließ.
»Das tut mir leid«, erwiderte Geoffrey. »Das tut mir aufrichtig leid, mehr, als du je ermessen kannst.«
Adele war keine Frau, die sich den Tränen hingab. Es war Jahre her, seit sie zum letzten Mal aus Kummer geweint hatte; damals war sie ein Kind von zehn Jahren gewesen, dessen Eltern Gesetzlose getötet und sie zur Waise gemacht hatten. Sie weinte nicht, als ihr Stiefbruder Roger Beaufort sie zwei Jahre später verführte, eine Verführung, bei der ihr haltloser Körper begierig mitgemacht hatte. Aber in jener Nacht, allein auf einem harten Lager im Kloster St. Augustin, weinte sie untröstlich.
Nun, da sie die Worte ausgesprochen hatte, kannte sie die Wahrheit. Sie liebte ihn. Er war machtvoll, rein und gut – anders als sie. Er war die pure Verkörperung von Männlichkeit, und trotz seines Verstoßes gegen das Zölibat war er auf eine Weise tugendhaft, die Adele kaum verstehen konnte, aber irgendwie bewunderte.
Zum ersten Mal in ihrem Leben wünschte sich Adele, eine sittsame Frau zu sein. Sie wünschte, eine andere Frau zu sein, eine Frau, die Geoffrey de Warennes würdig war, eine Frau, die er nicht nur im Bett haben wollte, sondern als seine Gemahlin. Zum ersten Mal bedauerte sie ihren Charakter, ihre Affären, alles. Ihn hingegen konnte sie nicht bedauern.
Sie wusste, dass ihr Kind von ihm war. Es konnte nicht von Henry sein; jeder ihrer Instinkte sagte ihr das. Es musste seines sein! Wenn nicht, dann hatte sie ihn wahrhaftig verloren.
Plötzlich waren Adeles Augen trocken. Die vergangenen sechs Jahre seit dem Tod ihrer
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