Die Geliebte des Normannen
Ventile für seine körperliche Lust. Überhaupt nichts im Vergleich zum Zusammensein mit Mary.
Stephen schloss die Augen. Er sehnte sich so nach ihr. Gerade jetzt, wo er Bescheid wusste, war er hart wie ein Stein und sehnte sich verzweifelt nach der Erleichterung, die nur sie ihm verschaffen konnte. Er sehnte sich verzweifelt nach körperlicher Erleichterung und nach so viel mehr. Sehnte er sich in Wirklichkeit nicht nach ihrer Liebe? Einer Liebe, die sie ihm nie schenken würde.
Er würde nicht zu ihr gehen, er würde es nicht tun.
Denn wenn er es tat, und wenn auch nur ein einziges Mal, würde er verloren sein.
Die Versuchung war unermesslich groß.
Sie hatte sich nicht verändert – er wiederholte diese Worte wie eine lebensrettende Litanei immer wieder –, und deshalb konnte er sie nicht wieder in sein Bett nehmen ... und in sein Leben. Sie war zu gefährlich. Sie hatte Macht über ihn. Auch das hatte sich nicht verändert.
Er wusste, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Sobald ein Arzt sie für gesund erklärte, würde er sie nach Tetly zurückschicken. Das war seine einzige Hoffnung.
Das einzige Problem war, er wusste nicht, wie er ihr fernbleiben konnte, nun, da er sie wiedergesehen hatte, nun, da sie in seinem Haus war, nur die Treppe hoch, in seinem Bett.
Während Stephen in Graystone vor dem Feuer auf und ab schritt, lümmelte Henry im großen Saal des Tower in einem Lehnstuhl auf dem Podium herum. Der Saal war ein Chaos. Es war ein langer Abend mit viel Unterhaltung und Festivitäten geworden. Die meisten Gäste räkelten sich betrunken auf den Bänken des endlos langen Tisches, ein paar kopulier ten ungeniert in dunklen Ecken mit Bediensteten, und so mancher lag einfach auf dem Boden und schnarchte.
Neben Henry saß sein Bruder, der König, vor einem von vielen Krügen Wein und beendete gerade die Schilderung seines neuesten Vorhabens. William Rufus hatte beschlossen, es sei nun an der Zeit, seinen geliebten Freund Duncan auf den Thron Schottlands zu setzen.
Henry zog eine Augenbraue hoch.
»Ganz unter uns, lieber Bruder, nur ganz unter uns, glaubst du wirklich, wenn du es schaffst, Duncan auf den Thron zu bringen, dass du ihn dann noch unter Kontrolle hast?«
Rufus grinste und winkte matt ab.
»Du musst die Wahrheit wissen, mein lieber Bruder. Duncan liebt mich.«
Wieder zog Henry eine Braue nach oben. »Wollen wir hoffen, dass das wahr ist.« Er grinste. »Was für eine glückliche Fügung. Er schmachtet nach dir, und du nach einem anderen.«
Jetzt grinste Rufus nicht mehr. Er warf seinem Bruder einen hässlichen Blick zu.
Henry lachte.
»Das wird interessant, nicht wahr, zu sehen, wie Stephen jetzt seine Gemahlin behandelt, wo sie zurückgekommen ist? Noch dazu, wo sie schwanger ist.«
Nun war es an Rufus, zu lächeln. »Er ist nicht mehr in sie verliebt. Er verachtet sie. Er kann es nicht einmal ertragen, von ihr zu sprechen. Aber natürlich, ich wusste, dass er bald genug von ihr haben würde. Er hat sich noch nie längere Zeit für eine Frau interessiert.«
»Glück für dich«, murmelte Henry. »Jedenfalls musst du das denken.«
Aber Rufus hatte ihn nicht gehört. »Also, was hältst du von meinen Plänen?«
»Ich denke, es ist nicht gerade einfach, einen König zu stürzen – und sogar noch schwerer, einen an der Macht zu halten.«
»Donald Bane ist schwerlich Schottlands König. Viele mögen ihn nicht. Und Edmund, der an seiner Seite regiert, auch nicht.«
»Und du hast Duncan über all die Jahre versprochen, seine kühnsten Träume wahr werden zu lassen.«
»Ernsthaft habe ich ihm nie etwas versprochen«, erwiderte Rufus scharf. »Du zweifelst daran, dass ich ihn unter Kontrolle halten kann?«
»Duncan ist sehr ehrgeizig und Malcolm sehr ähnlich, ebenso skrupellos und entschlossen. Er ist schon mehr als dreißig Jahre auf die Krone seines Vaters aus. Er wird nicht so leicht zu manipulieren sein, wie du es gerne hättest. Wenn du eine Marionette brauchst, warum nimmst du nicht den jungen Edgar? Sein Anspruch ist legitim. Und er ist jung genug, dass du ihn dir zurechtbiegen kannst.«
»Da bin ich anderer Meinung.« Plötzlich schien Rufus nicht mehr betrunken zu sein. Er musterte seinen Bruder mit einer unfreundlichen Miene. »Er ist zu jung, er würde zu viel Unterstützung brauchen, und er könnte sich sehr wohl Stephen zuwenden statt mir. Nein, ich ziehe bei Weitem Duncan vor, der mir immer treu ergeben war. Kann ich auf dich zählen, lieber
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