Die Geliebte des Normannen
leise.
»Da auch du nichts hast als ein oder zwei kleine Güter, seid ihr in dieser Hinsicht einander ebenbürtig, das passt doch bestens!«
Henry konnte sich nicht mehr zurückhalten.
»Das wird dir noch leidtun, Bruder!«
Rufus spürte unwillkürlich Angst in sich aufsteigen, denn er traute Henry nicht einen Augenblick. Er glich zu sehr dem Vater. Es war an der Zeit, ihn versöhnlich zu stimmen.
»Sie hat eine Schwester, sie ist unberührt, im Kloster, und noch zu jung zum Verheiraten.«
Sofort war Henrys Interesse wieder geweckt. »Malcolm wird niemals beide Töchter an Normannen vergeben.«
»Aber Malcolm lebt nicht ewig. Und wenn er weg ist, ist sein Reich reif, um gepflückt zu werden, wie auch seine Tochter Maude.«
Henry blickte mit düsterer Miene ins Leere. Und Rufus verspürte ein kurzes, aber heftiges Bedauern darüber, dass er seinem Bruder etwas so Kostbares angeboten hatte – diesem Bruder, der manchmal sein größter Verbündeter, aber immer sein tödlichster Feind war.
Der Graf von Kent besaß ein Gut südlich von London an der Themse, das seinen Reichtum anschaulich demonstrierte. Es war frisch getüncht, und an der Tür prangte das Familienwappen. Ferner hatte es nicht nur einen großen Saal, sondern sogar derer zwei, und dazu zahlreiche Gemächer und eine reich ausgestattete Kapelle. Küche, Speisekammer und Bierschenke waren in eigenen Gebäuden untergebracht. Die Tische und Bänke in den Sälen bestanden aus edlem, mit feinen Schnitzereien verziertem Holz. Der thronartige, dem Grafen vorbehaltene Polsterstuhl war mit rotem Samt bezogen. In den oben gelegenen Privaträumen schmückten exotische Teppiche aus Persien die Böden, und an den Wänden hingen farbenprächtige Gobelins.
Roger Beaufort saß ungezwungen auf einem weiteren thronähnlichen Stuhl in seinem privaten Schlafzimmer und nippte an einem teuren Wein aus der Normandie. Adele Beaufort schritt auf einem roten Teppich vor ihm auf und ab; das Feuer im Kamin verzerrte ihren langen Schatten. In ihren Bewegungen lag keine Rastlosigkeit, sondern eher Temperament und heftige Wut.
Sie blieb plötzlich stehen, die Hände in die Hüften gestemmt, ihre üppigen Brüste hoben und senkten sich.
»Hast du dazu nichts zu sagen? Überhaupt nichts?« »Schrei nicht so«, entgegnete er.
Er war zwar überzeugt, dass ihr Unglück mit der derzeitigen Verärgerung des Königs über ihn zu tun hatte – dass sein Unglück sozusagen sie traf –, genoss aber ihre Wut. Nur selten trug einer über Adele den Sieg davon.
»Gott, wie ich dich hasse! Ich werde beiseitegeschoben wie eine wertlose Dirne, und du tust nichts, absolut nichts!«
Er beschloss, ihr den Widerhaken noch tiefer ins Fleisch zu bohren.
»Seit der Lösung der Verlobung vor einer Woche hat es ein halbes Dutzend Angebote für dich gegeben. Henry of Ferrars war der hartnäckigste. Du wirst nicht als alte Jungfer sterben, Liebling.«
»Du Scherzbold! Er ist ein Niemand, ein absoluter Niemand!«
»Ich scherze nicht.«
»Wen«, fauchte sie, »wen könnte er heiraten? Welche könnte er mehr begehren als mich? Wer ist sie?«, brüllte Adele.
Roger beobachtete seine Stiefschwester mit einem trägen Lächeln.
»Du solltest nicht in diesem Zimmer sein, Adele, und jetzt brüllst du auch noch das ganze Haus zusammen.«
Wutentbrannt und keuchend vor Zorn starrte sie ihn an und warf das lange, schwarze Haar in den Nacken.
»Du weißt es. Du weißt, wer sie ist! Du hast es herausgefunden!«
Er lächelte wieder und nahm einen Schluck von seinem Wein.
»Du Bastard!«, schrie sie und schlug ihm den Becher aus der Hand.
Der Wein ergoss sich über Rogers rote Hose und den bestickten Saum seiner samtenen Tunika.
Er sprang auf, zog Adele zu sich und gab ihr eine kräftige Ohrfeige.
Sie schrie wütend auf und versuchte, sich loszureißen. Er schlug sie noch einmal, um ihr zu zeigen, wo ihr Platz war, und ließ sie dann los.
Völlig außer sich trat sie zurück, ihr Busen wogte heftig. Er bemerkte, dass ihre Brustwarzen sich versteiften. Aber auch er war geladen.
»Wer ist es?«, herrschte sie ihn an; ihre Wangen liefen von den Schlägen hochrot an.
»Es ist Malcolm Canmores Tochter«, antwortete er mit echter Genugtuung.
Ihr Atem stockte.
»Er heiratet eine Königstochter?«, fragte sie verblüfft. »Er heiratet eine Prinzessin«, erwiderte Roger mit einem affektierten Grinsen.
Adele gab einen erstickten Laut von sich und wandte sich zitternd zum Feuer um. Er trat so dicht hinter sie,
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