Die Geliebte des Normannen
dass sein Unterleib an ihren verlängerten Rücken stieß, und legte tröstend die Hände auf ihre Schultern.
»Nicht einmal du kommst gegen eine Prinzessin an, meine Liebe, und es heißt, sie sei auch noch eine Schönheit.«
Sie riss sich von ihm los. Und sie sagte nichts – denn dazu gab es nichts zu sagen.
Mary ritt neben Stephen auf einem zierlichen weißen Zelter; er saß auf seinem großen braunen Streitross. Zwei Dutzend Ritter begleiteten sie, und direkt hinter ihnen ritt ein Gefolgsmann mit der Flagge von Northumberland. Die rote Rose auf schwarz-weiß-goldenem Grund wehte über ihnen und verkündete ihr Eintreffen in London.
Die Glocken der königlichen Kapelle läuteten, als sie sich langsam der Zugbrücke näherten. Zu einer anderen Zeit hätte sich Mary vielleicht für den Anblick des Palastes interessiert. Erbaut vom Eroberer an der Stelle eines alten römischen Kastells – ein Teil der Befestigungen enthielt in der Tat noch alte römische Mauern –, bestand er aus dem weiß getünchten, vier Stockwerke hohen und mit Zinnen bewehrten Turm und einem großen Burghof mit Ringmauern und den umliegenden Kaianlagen. Auf den Wachtürmen patrouillierten Soldaten, und auf den Mauern waren Bogenschützen postiert. Am Wasser war es ruhig, zahlreiche Schiffe und Boote lagen vertäut, von denen einige offenbar aus fernen Ländern stammten.
Mary sah nur die Mauern und den Turm. Ihr Bauch fühlte sich angespannt an, und das bereits seit gestern, als sie in der Kapelle von Alnwick mit Stephen verlobt worden war.
Die Verlobung war offiziell. Und sie hatte wirklich und tatsächlich stattgefunden; es war keine List gewesen. Und nun war sie im Begriff, den berühmten Tower zu betreten. Nun, da sie die mächtige, noch nicht ganz vollendete Festung vor sich sah, traf die Erkenntnis Mary wie ein Schlag – aus diesen unbezwingbaren Mauern konnte Malcolm sie nicht befreien.
Sie begann zu zittern.
Die Verlobung war offiziell, es hatte keine Rettung aus Alnwick gegeben, und auch keine, seit sie Alnwick verlassen hatte, und es würde jetzt und auch in der Zukunft keine Rettung mehr geben. Das zu glauben, darauf zu hoffen, war schlichtweg Wahnsinn.
Lieber Gott, es war keine List gewesen.
Keine List. Ihr Vater hatte sie Stephen de Warenne gegeben und sich nicht einmal von ihr verabschiedet. Sie war nichts weiter als ein politisches Opfer.
Ein Schmerz stieg in ihr hoch; Mary musste ihre Gedanken abwürgen.
Sonst konnte es sein, dass sie den Palast des Königs tränenüberströmt betrat.
Sie überquerten die Zugbrücke, ritten unter den schwarzen Klauen des Fallgitters durch und in den Hof hinein. Dort wurden sie sofort von bewaffneten, in den Farben des Königs gekleideten Rittern umringt – eine Maßnahme, die alles andere als beruhigend wirkte. Mary war nicht imstande, sich zu bewegen. Stephen glitt von seinem Streitross. Seine starken Hände umschlossen ihre Taille, und er blickte ihr gefasst in die Augen.
»Keine Angst«, murmelte er. »Das ist nichts als Gehabe.«
Er zog sie von ihrem Pferd und direkt in seine Arme. Mary zitterte und atmete schwer. Doch sobald sie gewahr wurde, dass sie in seinen Armen lag – Stephen de Warennes, des Mannes, den sie tatsächlich heiraten würde, des Mannes, dem ihr Vater sie kaltherzig überlassen hatte –, riss sie sich von ihm los. Die zahlreichen königlichen Ritter umringten sie beide und trennten sie von Stephens Männern.
»Warum haben uns die Männer des Königs umstellt?«, rief sie.
Fast panisch jagte ihr der Gedanke durch den Kopf, dass man sie von Stephen trennen würde und sie nicht seine Gemahlin, sondern eine Gefangene des Königs werden sollte. So sehr sie es hasste, Northumberlands Braut zu sein, war das doch nichts im Vergleich zu der Vorstellung, ihm entrissen und in die Verliese des Towers geworfen zu werden.
Stephen legte tröstend einen Arm um sie, doch seine Miene war angespannt.
Sein kalter, gefährlicher Blick strafte seine Geste und seinen Ton Lügen.
»Es ist nur Theater, Mary, eine Vorstellung für mich und für meine Feinde. Du wirst meine Gemahlin; Rufus ist nicht so unklug, sein Wort zu brechen. Er würde meine Familie nie erzürnen, dazu braucht er uns viel zu sehr.«
Seine Worte beruhigten Mary nicht. Wie konnten sie das auch? Sie war vom Feind umstellt, er war der Feind. Was Stephen auch immer sagte, sie sollte ganz offensichtlich gefangen genommen werden. Außerdem nahm sie ihm nicht ab, dass er selbst glaubte, was er sagte, denn auch
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