Die Geliehene Zeit
lan gepflegt, als er mit einem halben Bein und hohem Fieber aus Frankreich heimgekommen ist?«
Sie schlug mit der flachen Hand auf die Bank neben ihr. Die Nerven gingen mit ihr durch.
»Du meinst, ich wüßte nicht Bescheid! Ich und nicht Bescheid wissen? Ich holte die Maden aus dem wunden Fleisch seines Beinstumpfes, weil es seine eigene Mutter nicht fertigbrachte! Ich hielt das heiße Messer an sein Bein, um die Wunde auszubrennen! Ich roch, wie sein Fleisch wie das eines über dem Feuer gerösteten Schweines verbrannte und hörte seine Schmerzensschreie! Wie kannst du es wagen, dich hierher zu stellen und mir zu erzählen, ich... ich... wüßte nicht, wie es ist!«
Tränen der Wut rollten ihr die Wangen hinab. Sie tastete in ihrer Rocktasche nach einem Taschentuch.
Mit zusammengepreßten Lippen stand Jamie auf, zog sein Taschentuch aus seinem Ärmel und reichte es ihr. Er wußte, daß es keinen Sinn hatte, sie zu berühren oder zu versuchen, sie zu trösten. Er beobachtete, wie sie sich zornbebend die Tränen trocknete.
»Aye, gut, du weißt es also«, sagte er. »Und du willst trotzdem, daß ich ihn mitnehme?«
»Ja.« Sie schneuzte sich kurz und wischte sich die Nase ab, dann steckte sie das Taschentuch in ihre Rocktasche.
»Er weiß ganz genau, daß er verkrüppelt ist, Jamie. Er weiß es nur allzugut. Aber mit dir würde er es schaffen. Ein Pferd für ihn ist auch da, er müßte nicht zu Fuß gehen.«
Er machte mit einer Hand eine ungeduldige Geste.
»Daß er es schaffen würde, ist doch gar nicht die Frage. Ein Mann schafft immer, was er meint, schaffen zu müssen - aber warum glaubst du, daß er mitgehen sollte?«
Sie hatte ihre Fassung wiedergewonnen, fischte ihr Gerät aus der Maische und schüttelte es. Braune Tropfen spritzten in die Wanne.
»Er hat dich nicht gefragt, oder? Ob du ihn brauchst?«
»Nein.«
Sie stieß den Maischestampfer in die Wanne und fuhr mit ihrer Arbeit fort.
»Er glaubt, du willst ihn nicht mitnehmen, weil er verkrüppelt ist, und er meint, du könntest ihn nicht brauchen.« Dann blickte sie von ihrer Arbeit auf. »Du kennst lan, wie er früher war, Jamie. Er hat sich verändert.«
Jamie nickte zögernd und setzte sich wieder auf seinen Eimer.
»Aye. Aber das hast du doch nicht anders erwartet, oder? Und
anscheinend geht es ihm gut.« Er sah seine Schwester an und lächelte.
»Er ist glücklich mit dir, Jenny. Mit dir und den Kindern.«
Sie nickte, und ihre schwarzen Locken wippten.
»Aye, das stimmt«, sagte sie sanft. »Aber nur deshalb, weil er für mich ein ganzer Mann ist und es immer bleiben wird.« Sie blickte ihrem Bruder in die Augen. »Aber wenn er glaubt, du könntest ihn nicht brauchen, wird er sich wertlos fühlen. Und deshalb mußt du ihn mitnehmen.«
Jamie faltete die Hände, stützte die Ellbogen auf seine Knie und legte das Kinn auf seine Hände.
»Es wird nicht so sein wie in Frankreich«, sagte er ruhig. »Dort hat man sein Leben nur im Kampf aufs Spiel gesetzt. Hier...« Er machte eine Pause, bevor er fortfuhr. »Jenny, dies ist Verrat. Wenn wir scheitern, werden die Anhänger der Stuarts auf dem Schafott enden.«
Ihr blasses Gesicht wurde noch eine Spur blasser, doch sie fuhr unbeirrt fort, die Maische zu stampfen.
»Ich habe keine Wahl«, fuhr er fort und sah sie eindringlich an. »Aber willst du uns beide in Gefahr bringen? Willst du, daß lan vom Galgen herab auf das Feuer blickt, das für seine Eingeweide angefacht wird? Willst du riskieren, daß du deine Kinder ohne Vater großziehen mußt, nur um seinen Stolz zu schonen?«
Jenny bewegte den Stampfer langsamer, nicht mehr so wild wie zuvor, doch in ihrer Stimme lag unnachgiebige Entschlossenheit.
»Ich will einen ganzen Mann«, erwiderte sie mit fester Stimme. »Oder gar keinen.«
Jamie saß bewegungslos da und ließ den Blick auf seiner Schwester ruhen, deren dunkler Kopf über ihre Arbeit gebeugt war.
»Gut«, sagte er schließlich. Sie blickte nicht auf, doch innerlich schien sie sich ihm zuzuwenden.
Er seufzte tief, stand dann auf und drehte sich mit einer abrupten Bewegung zu mir um.
»Sassenach, laß uns hier rausgehen«, sagte er. »Gott, ich muß betrunken sein.«
»Du glaubst wohl, du könntest mich herumkommandieren?« Ians Schläfenader pochte sichtbar. Jenny drückte meine Hand noch ein wenig fester.
Jamies Entschluß, lan solle mit ihm zusammen in die Armee der Stuarts eintreten, war von diesem zunächst mit Skepsis, dann mit Argwohn und - als Jamie nicht
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