Die Geliehene Zeit
einmal für mich in die Arme, mein Junge.«
Die schwarzen Augen kehrten zu mir zurück, und er grinste mir zum Abschied zu.
»Leb wohl, mein Mädel«, sagte er leise.
Dougals Dolch traf ihn unter dem Brustbein, hart und schnell. Ruperts stämmiger Leib krümmte sich und fiel zur Seite. Doch der jähe Schmerzensschrei kam aus Dougals Kehle.
Wie erstarrt verharrte das Oberhaupt der MacKenzies, die Augen geschlossen, den Schaft seines Dolchs fest umklammert.
Schließlich erhob sich Jamie, nahm ihn, gälische Trostworte murmelnd, bei den Schultern und drehte ihn fort. Fragend sah mich Jamie an, ich nickte und breitete meine Arme aus. Sanft schob er Dougal in meine Richtung, und ich zog ihn an mich. Auf dem Boden kauernd, hielten wir beide ihn fest, während er weinte.
Auch Jamie liefen die Tränen übers Gesicht, und ich hörte, wie die anderen Männer aufseufzten und schluchzten. Besser, sie weinten um Rupert als um sich selbst, dachte ich bei mir. Wenn die Engländer uns hier fanden, würden wir alle wegen Verrats am Galgen enden. Es war leichter, um Rupert zu trauern, der seine letzte Reise schon angetreten hatte - auf den Weg geschickt von der Hand eines Freundes.
Doch in dieser langen Winternacht sollten sie uns nicht finden. Wir drängten uns an einer Mauer zusammen, deckten uns mit Plaids und Umhängen zu und warteten. Ich döste unruhig, an Jamies Schulter gelehnt, während Dougal schweigend an meiner anderen Seite saß. Ich hatte den Eindruck, daß beide nicht schliefen, sondern die ganze Nacht über Ruperts Leichnam wachten, der still unter seinem Plaid mitten in der Kirche ruhte, jenseits des Abgrunds, der die Lebenden von den Toten trennt.
Wir sprachen wenig, aber ich wußte, was die anderen dachten. Ebenso wie ich fragten sie sich, ob die englischen Soldaten abgezogen waren, um sich unten in Callendar House mit dem Gros der Armee zu vereinigen, oder ob sie noch draußen auf der Lauer lagen, damit niemand im Schutze der Dunkelheit aus der Kapelle entkam. Wenn, dann würden sie wohl erst bei Tagesanbruch zur Tat schreiten.
Als es dämmerte, bekamen wir die Antwort auf diese Frage.
»Holla, ihr da in der Kirche! Kommt heraus und ergebt euch!« Die kräftige englische Stimme kam von weiter unten.
Mit einem Schlag waren die Männer auf den Beinen, und das Pferd, das in seiner Ecke gedöst hatte, warf den Kopf hoch und schnaubte beunruhigt. Jamie und Dougal tauschten einen Blick. Als hätten sie sich abgesprochen, erhoben sich beide und stellten sich Schulter an Schulter vor die geschlossene Tür. Auf eine Geste Jamies hin verschwand ich wieder in meinem Versteck hinter dem Altar.
Auch auf den zweiten Ruf von draußen antworteten wir nicht.
Jamie zog seine Steinschloßpistole und überprüfte die Ladung so gelassen, als hätte er alle Zeit der Welt. Dann ließ er sich auf ein Knie nieder und zielte auf die Tür.
Mit gezogenem Schwert und schußbereiter Pistole bewachten Geordie und Willie das Fenster am hinteren Ende. Aber der Angriff würde wahrscheinlich von vorn kommen; der Hügel hinter der Kirche stieg so steil an, daß sich zwischen Hang und Kirchenmauer kaum ein Mann hindurchzwängen konnte.
Ich hörte das leise Klirren von Waffen und Schritte, die sich der Tür näherten. In einiger Entfernung erstarben die Geräusche, und dann ertönte wieder die Stimme, diesmal lauter und näher.
»Im Namen Seiner Majestät König George, kommt heraus und ergebt euch! Wir wissen, daß ihr da drin seid!«
Jamie feuerte. Ohrenbetäubend hallte der Knall im Innern der Kirche nach. Auch von draußen mußte die Wirkung beeindruckend sein. Den Geräuschen nach zu urteilen, zogen sich die Soldaten überstürzt und leise fluchend zurück. Das Geschoß hatte ein kleines Loch in die Tür geschlagen. Dougal trat vorsichtig heran und spähte hinaus.
»Verdammt«, sagte er leise. »Es sind viele.«
Jamie warf mir einen Blick zu. Dann preßte er die Lippen zusammen und lud seine Pistole nach. Offenbar hatten die Schotten keineswegs die Absicht, sich zu ergeben. Und ebensowenig beabsichtigten die Engländer, die Kirche zu stürmen, deren Eingänge leicht zu verteidigen waren. Sie wollten uns doch nicht etwa aushungern? Gewiß würde die Hochlandarmee Männer aussenden, um nach den Verwundeten der Schlacht zu suchen. Wenn sie eintrafen, bevor die Engländer eine Kanone herbeischaffen konnten, um die Kirche zu beschießen, waren wir vielleicht gerettet.
Doch leider hatten wir es mit einem klugen Kopf zu tun.
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