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Die Geometrie der Wolken

Die Geometrie der Wolken

Titel: Die Geometrie der Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Foden
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»Ah, ja. Tut mir leid. Gill wollte es so machen. Sie liest viele Romane. Ich hätte Sie lieber direkt gefragt. Wir haben uns nämlich gedacht...«
    Er verstummte. Ich legte ein neues Holzscheit ins Feuer und wartete ab, dass er fortfuhr, was er nach einer Weile auch tat. »Und zwar hatten wir uns gedacht, wenn es wieder passiert, wenn das Kind stirbt, dass Sie dann vielleicht, äh, einspringen könnten. Deshalb wollten wir Ihr Blut untersuchen lassen.«
    »Als Kind einspringen?« Einen merkwürdigen Augenblick lang dachte ich, dass sie mich adoptieren wollten.
    »Was? Nein. Wir dachten, wir hatten überlegt ... ob Sie vielleicht... mit Gill... könnten. Wir hatten überlegt, würden Sie vielleicht mit meiner Frau ..., damit sie ein Kind bekommt? Wenn es diesmal wieder passiert, weiß ich nicht, ob wir beide es noch einmal ertragen können. Deshalb ... naja, auf jeden Fall haben wir festgestellt, dass Ihr Blut nicht inkompatibel ist. Meins ist es leider.«
    Schockiert trank ich einen ordentlichen Schluck Whisky, stand auf und klopfte auf der Suche nach Zigaretten nervös meine Hosentaschen ab.
    »Das ist sehr ungesund«, merkte Ryman von seinem Stuhl aus an, als ich mir schließlich eine anzündete.
    Darüber musste ich kurz lachen. Er warf mir einen wütenden, verletzten Blick zu und stand auf.
    »Schön, dass Sie das so lustig finden«, sagte er.
    »Warten Sie.« Ich legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ich fand es nur lustig, dass Sie sich an so einem Zeitpunkt Sorgen um meine Gesundheit machen. Ich habe mir nichts dabei gedacht.«
    Er atmete scharf ein und setzte sich wieder. »Ach so. Nun, es ist wohl normal, dass man sich in schmerzvollen Lagen an übliche Verhaltensmuster klammert, und eins von meinen ist es, dass ich alle immer darauf hinweise, wenn etwas schlecht für sie ist.« Jetzt lachte er verbittert. »Und ich bin schon wieder dabei. Gill sagt, dass ich es andauernd mache. Ich analysiere zukünftige Ereignisse. Sie glaubt, dass es daran liegt, dass mein Kopf immer daran arbeitet, dass wir keine Kinder bekommen können. Als ob mein ganzer Körper damit beschäftigt ist.«
    Während er sprach, liefen ihm Tränen über die Wangen.
    »Das kann doch gar nicht sein, Sir«, sagte ich so mitfühlend, wie ich konnte.
    Er holte ein Taschentuch heraus, putzte sich die Nase, lächelte mich schwach an und stand dann abrupt auf und ging.
     

6.
    In der Nacht bekam ich kaum ein Auge zu. Wohl um mich noch weiter zu verunsichern, flog am Morgen die Junkers wieder vorüber. So viel war geschehen, dass ich sie schon fast wieder vergessen hatte. Ich sprang aus dem Bett und konnte sie gerade noch vorbeirauschen sehen, die Kameras in den Flügelspitzen waren diesmal deutlich zu erkennen. Den Rest des Tages verbrachte ich mit dem Zeichnen von Wetterkarten - nicht weil ich mir besondere Sorgen wegen Whybrows wutschnaubender Ermahnung machte, sondern weil ich mich von allem ablenken musste, was geschehen war, besonders von den Gedanken an die arme Gill und ihr Kind wie auch an Rymans seltsame Bitte. Die beiden Dinge passten einfach nicht zusammen.
    Der Prophet ließ sich nicht mehr blicken, und da ich seinen abwegigen Vorschlag so gut wie möglich verdrängte, ging ich ihn auch nicht besuchen. Das Ganze war einfach zu viel für mich. Besonders makaber war der Gedanke an die, wenn auch nur vorläufige, Abmachung, eine Frau zu schwängern, wenn das derzeitige Kind noch nicht mal tot war. Dazu brauchte es großen geistigen wie emotionalen Abstand, dachte ich. Oder ebenso große Verzweiflung.
    Ohne eine Mittagspause stürzte ich mich in die Arbeit, bis ich wieder im Zeitplan lag. Whybrow konnte sich das Ganze meinetwegen sonstwohin stecken, aber ich wollte nicht, dass er mich vor Sir Peter schlechtmachte.
    Abends kochte ich mir Kartoffeln und Karotten und aß eine Makrele, die die Vorsehung für mich am Ende einer von Mackellars Leinen reserviert hatte. Dazu eine Flasche Bier und eine Zigarette zum Nachtisch. Erst dann, in Tabaktrance, entwickelte ich den simplen Plan, mich mit einer Reihe von Cracker-Ballons gegen das deutsche Flugzeug zu wehren.
    Mich ergriff eine gefährliche Begeisterung für dieses Vorhaben. Wenn ich heute an diese dumme Idee zurückdenke, verstehe ich, dass mein emotionaler Antrieb wohl von Whybrows Andeutung herrührte, dass ich mich gedrückt hätte, als ich den Leuten nicht geholfen hatte, die nach der Bombardierung der Fabrik in Greenock über den Clyde gerudert gekommen waren; und natürlich auch

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