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Die geprügelte Generation

Die geprügelte Generation

Titel: Die geprügelte Generation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Müller-Münch
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Arbeit nicht möglich ist« (aus dem Vorwort von 1967). Als globales Ziel der Erziehung wurde die weitere allseitige sozialistische Persönlichkeitsentwicklung formuliert.
    Erst als ich diese Erziehungsrichtlinien von 1967 las, verstand ich, dass sich offenbar seitdem nicht viel verändert hatte. So schrieben die darin enthaltenen Anweisungen genauestens vor, wann die Kinder was zu machen hatten. So, wie ich es dann 1990 in den beiden ehemaligen DDR-Kindergärten erlebte. So heißt es beispielsweise in diesen Erziehungsrichtlinien: »Werden die Kinder immer genau zur gleichen Zeit schlafen gelegt, so schlafen sie rasch ein. Die Kinder sollten in einem gut gelüfteten, ständig mitFrischluft versorgten Raum schlafen. Alle Kinder werden angehalten, sich auf die rechte oder linke Seite zu legen. Während des Schlafs wird beobachtet, dass sie keine Lage einnehmen, die die Blutzirkulation und Atmung erschwert und Haltungsschäden begünstigt. Die Erzieherin achtet darauf, dass die Arme der Kinder auf der Decke liegen.« 28
    Zu diesen, bis ins kleinste Detail ausgefeilten Vorgaben kam nun noch die sozialistische Indoktrinierung hinzu. In einer Rede, die Walter Ulbricht zur Begründung des Jugendgesetzes am 8. Februar 1950 hielt, forderte der damalige Generalsekretär der SED: »Jeder Jugendliche soll ein bewusster Demokrat werden, der weiß, wer die Freunde und wer die Feinde des Volkes sind. Jeder Jugendliche muss die Quellen der Kriegsprovokation kennen, von tiefem Hass erfüllt sein gegen den Imperialismus, gegen jene Deutschen, die zu Werkzeugen der imperialistischen Unterdrückung und Kriegspolitik in Westdeutschland geworden sind. Unsere Jugend soll lernen, in der Nationalen Front des demokratischen Deutschlands für die Einheit Deutschlands zu kämpfen und den Frieden mit allen Mitteln zu verteidigen.«
    Nach Ute und Wolfgang Benz sahen die angepeilten konkreten Lernziele in der Erziehung der DDR-Kinder folgendermaßen aus: »In der jüngeren Gruppe zum Beispiel sollten die Kinder lernen, die Arbeit der Reinigungsfrau und Köchin im Kindergarten zu achten, den Wunsch zu haben, im Kindergarten und Elternhaus bei hauswirtschaftlichen Arbeiten zu helfen, das Besondere des Geburtstages der DDR am 7. Oktober zu empfinden und am 1. Mai die Arbeiterfahne erkennen zu können. Sie sollten lernen, nichts mutwillig zu zerstören und sich die Erzieherin zum Vorbild zu nehmen.«
    Während in Westdeutschland die Studenten auf die Barrikaden gingen, in Kinderläden antiautoritäre Erziehung für Aufruhr sorgte, der patriarchalischen Familienstruktur der Kampf angesagt wurde und eine rebellierende Jugend erstmals körperliche Züchtigung in Frage stellte, während sich also im Westen die Erziehungsmethodenradikal veränderten, blieb in der DDR offenbar alles wie gehabt. So jedenfalls war mein Eindruck, als ich einige Tage nach dem Fall der Mauer die beiden Ostberliner Kindergärten besuchte, in denen noch kein neuer Zeitgeist eingezogen war. In denen es noch so zuging wie zuvor.
    Nur ja nicht aus dem Rahmen fallen!
    Die drei dahinten, die nur herumtobten, sollten mal herkommen, rief eine Erzieherin. »Hallo, hallo, ihr da!« Und sie kamen, im Blick das schlechte Gewissen. »Überlegt euch mal, was ihr spielen wollt«, forderte sie die Kinder auf. Gott sei Dank fiel ihnen auf Anhieb etwas ein: Puppen, Plast-Bausteine, Bilderbuch! Bald schon war nämlich die Zeit hierfür wieder abgelaufen. Ging es weiter im Galopp durch den vorgegebenen Tagesablauf.
    Die Mittel und Wege, mit denen hier die Kinder auf Einheitsnorm getrimmt wurden, waren auch in der Bundesrepublik sattsam bekannt, hatten eine unselige Tradition. Von Reformpädagogen wurden sie längst unter der Rubrik »schwarze Pädagogik« verächtlich ad acta gelegt. Wirksam waren sie hier allerdings, der Soforterfolg kolossal. Denn die Kinder parierten, gehorchten meist aufs Wort. Was das mit ihnen machte, wie sie sich dabei fühlten, spielte keine Rolle. Hauptsache, der Laden lief. Hierzu hatten die Erzieherinnen beider Einrichtungen, die ich in Ostberlin besuchte, ein schillerndes Repertoire an Liebesentzug und Denunziation auf Lager.
    Jennifer zum Beispiel, die deshalb aus dem Rahmen fiel, weil sie sich bei meinem Besuch immer wieder wie eine Ente laut platschend durch den Gruppenraum bewegte, musste blamiert vor den schon aufgereiht stehenden und wartenden Kindern den Weg zur Wand hin und zurück normalen Schrittes gehen. Alle starrten sie an. Als Sven sich nicht auf den für

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